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Zwei Jahre nach Einführung des zweiten Pflegestärkungsgesetzes: Wie haben sich die Pflegegrade der Bewohner verändert?
Eine Frage wurde in den letzten zwei Jahren besonders häufig und kontrovers diskutiert: Gibt es eine systematische Veränderung der Pflegegrade der Bewohner, weil die Überleitung zu hohe (oder zu niedrige) Pflegegrade mit sich gebracht hat? rosenbaum nagy zieht nach 2 Jahren Benchmark Bilanz: Nach der Überleitung im Kontext des PSG II hat sich die Pflegegradstruktur in den teilnehmenden Betrieben systematisch verändert. Insbesondere die Anzahl der Pflegebedürftigen im Pflegegrad 5 hat deutlich abgenommen. Wir haben dies systematisch durch unsere quartalsweise durchgeführte Benchmark-Abfrage nachgewiesen.

Der rnu-Benchmark untersuchte im Zeitraum vom 01.01.2017-30.09.2018 die Veränderung der Pflegegradstruktur in vollstationären Einrichtungen. In diesen 7 Auswertungsquartalen haben sich insgesamt über 210 Einrichtungen mit über 17.000 vollstationären Pflegeplätzen im gesamten Bundesgebiet an der Untersuchung beteiligt. Mit diesem Benchmark wurde durch die Abbildung der Pflegegradstrukturveränderung im Vergleich zur Überleitung erstmals eine Entwicklung erfassbar gemacht, die einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsgrundlage stationärer Träger hatte und die für die meisten Leistungsanbieter lange wenig abschätzbar war.
Mit der Überleitung war der sogenannte Rothgang- oder Zwillings-Effekt bereits vorhergesagt worden. Dieser bezeichnet stark vereinfacht die Besonderheit, dass die automatische Überleitung (einfacher und doppelter Stufensprung) in vielen Fällen zu großzügig war und nicht dem tatsächlichen Pflegeaufwand entsprach. Dies führte dazu, dass viele Einrichtungen zum Jahreswechsel 2016/2017 mit einer hohen Pflegegradstruktur (viele Bewohner mit Pflegegraden 4 und 5) in das neue System starteten. Es war jedoch absehbar, dass mit neu einziehenden Bewohnern, die bereits mit dem neuen Begutachtungsinstrument (NBI) begutachtet werden, der durchschnittliche Pflegegradmix geringer ausfallen würde, als zum Zeitpunkt der Überleitung. Die hohen Pflegegrade würden systematisch durch niedrigere ersetzt, so die Prognose.
In der detaillierten Betrachtung der letzten zwei Jahre lässt sich genau diese Entwicklung signifikant bestätigen. Die Anzahl der Pflegebedürftigen in den Pflegegraden 5 und 3 wies eine deutliche Veränderung auf, die Anzahl der Pflegebedürftigen in den Pflegegraden 2 und 4 zeigte hingegen nur eine leichte Veränderung. Es kam zu einem systematischen Austausch der hohen Pflegegrade durch niedrigere. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Veränderung in den jeweiligen Pflegegraden: die Anzahl der Bewohner mit Pflegegrad 5 hat um knapp 16% abgenommen, die mit Pflegegrad 3 um knapp 10% zugenommen. Der durchschnittliche Pflegegrad ist um 0,17 niedriger als zum 01.01.2017.
Viele Träger haben diese Entwicklung bereits erkannt und erste Gegensteuerungsmaßnahmen (Aufnahmesteuerung oder Höherstufungsmanagement) ergriffen. Was lässt sich aber aus dieser Analyse für die aktuelle Unternehmenssteuerung ableiten?
Die systembedingte Verschlechterung der Pflegegradstruktur hat direkten Einfluss auf die Steuerung von vollstationären Einrichtungen. Die aufgezeigten Veränderungen führen zu einem Erlösrückgang, auf den im Rahmen der Steuerung mit einer Reduktion des einzusetzenden Personals im Bereich Pflege reagiert werden muss. Im Kontext der Umstellungen der Pflegestärkungsgesetze hat sich jedoch durch die Einführung des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils auch die Personalsteuerung gravierend verändert. Durch die Mischkalkulation des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils und die nicht daran angepassten Personalschlüssel gibt es defizitäre und kostendeckende Pflegegrade. Verändert sich die Pflegegradstruktur unterjährig, kann es je nach bundeslandspezifischen Rahmenbedingungen zu erheblichen Ergebniseinbußen kommen.
Die systematische Veränderung der Pflegegradstruktur wurde nicht durch das unternehmerische Handeln einzelner Akteure ausgelöst, sondern wurde durch gesetzliche Rahmenbedingungen vorgegeben. Die direkten Auswirkungen waren hingegen direkt für Sie spürbar.
Für die Einrichtungen bedeutet dies, dass die relevanten Steuerungsparameter sehr viel engmaschiger beobachtet werden müssen. Verschlechtert sich die Pflegegradstruktur, muss die Personaleinsatzmenge angepasst werden. Hierbei sind allerdings nicht mehr nur die landeseinheitlichen oder einrichtungsindividuellen (je nach Bundesland) Personalschlüssel relevant, sondern auch die tatsächlichen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Einrichtung (Sachkosten, reale Personaleinsatzmenge, reale Personalkosten), um einschätzen zu können, welchen betriebswirtschaftlichen Anpassungsbedarf es gibt.
In unserem Verständnis muss die Komplexitätssteigerung der Rahmenbedingungen deshalb von einem Ausbau der eigenen Steuerungsinstrumente begleitet werden. Nur so können Sie als Träger die immer kleiner werdenden Handlungsspielräume überhaupt noch identifizieren und für den langfristen Unternehmenserfolg nutzen.
Dies gilt im besonderen Maße, da trotz steigender Anforderungskomplexität die wenigsten Träger aktuell über ausreichende Steuerungsinstrumente verfügen, um die notwendige Informationshoheit sicherzustellen. Die meisten Träger erstellen inzwischen zwar monatlich belastbare unterjährige Abschlüsse unter Berücksichtigung der entsprechenden Abgrenzungen und kalkulatorischen Erfassungen. Im Bereich der Personalsteuerung (immerhin 60-80 % der Gesamtkosten) gibt es aber immer noch zu viele Träger, die nicht tages-, häufig auch nicht wochengenau und manchmal noch nicht einmal monatlich exakt benennen können, wie hoch der Personaleinsatz (gewesen) ist. Im Bereich der Personalkosten sieht es noch schwieriger aus. Die Kennzahl ‚durchschnittliche Personalkosten‘ wird aufgrund des hohen Erfassungsaufwandes (Berücksichtigung von u.a.: Kosten Fremddienstleister, ausbezahlte Überstunden, Langzeitkranke außerhalb der Lohnfortzahlung) immer noch von sehr wenigen Trägern regelmäßig betrachtet, obwohl sie auch im Zuge der neuen Regressregelungen (§115 SGB XI) von hoher Bedeutung ist.
Fazit: Der Ausbau der Steuerungsinstrument stellt keinen Selbstzweck dar, sondern ein bedeutendes Handlungserfordernis, um der gestiegenen Komplexität interner und externer Anforderungen gerecht zu werden. Nur so kann die eigene Wirtschaftlichkeit und damit letztendlich auch die eigene Zukunftsfähigkeit gesichert werden.
Roman Tillmann (Diplom-Kaufmann, Geschäftsführender Partner bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH), E-Mail: tillmann@rosenbaum-nagy.de, Telefon 0221 – 5 77 77 50
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