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Von der Maulwurftaktik zur Chef(innen)-Sache

“Was wollen Sie konkret gegen den Pflegenotstand tun?” fragte der junge Krankenpfleger Alexander Jorde in der Wahlarena die Kanzlerin. Seine eindrückliche Schilderung der Zustände in der Pflege wird den Zuschauern länger in Erinnerung bleiben als die ausweichenden Antworten von Angela Merkel. “Pflegekräfte fallen nicht vom Himmel”, stellte er fest, und die Antwort der Kanzlerin ließ mich aufhorchen: Man könne auch auf Pfleger aus dem EU-Ausland zurückgreifen.

- Elisabeth Scharfenberg, Politikerin

Pflegepersonal aus dem Ausland – das höre ich von ihr nicht zum ersten Mal. Ende August fand ein taz-Interview mit Angela Merkel statt. Sie äußerte sich zu vielen Dingen, bis schließlich das Thema Einwanderung zur Sprache kam. Merkel erwog Kontingente für eine legale Einwanderung aus Afrika. Sie könne sich entsprechende Vereinbarungen mit afrikanischen Ländern vorstellen. Dann könne eine bestimmte Anzahl von Menschen hier studieren oder arbeiten. Sie sagte, bei Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, "geht es natürlich darum, dass diejenigen kommen, die wir brauchen, Pflegekräfte beispielsweise".

Wums – da ist es wieder. Pflegenotstand? Lösung Einwanderung! Mein Gehirn hängt sofort die Wortfolge dran: Pflegenotstand? Lösung Schleckerfrauen! Mannomann… Was soll das? Warum bitte schauen Sie nicht mal genauer hin, Frau Merkel? So ist das wirklich ein bisschen simpel. Stopp – nochmal ganz klar fürs Protokoll: Ich bin eine absolute Befürworterin von Einwanderung. Wir brauchen endlich ein modernes Einwanderungsgesetz. In Zeiten des demografischen Wandels ist das für Deutschland Realität geworden. Darum kritisiere ich Frau Merkel nicht für ihr Ansinnen, durch Einwanderung den Mangel an Fachkräften zu bekämpfen. Aber warum muss die Pflege wieder einmal als Beispiel dafür herhalten? Ist Pflege wirklich der Bereich, in dem man offene Stellen mit Menschen besetzen kann, die aus Not jede Arbeit annehmen? Das käme einem resignierten "Wer will denn da sonst schon arbeiten" gleich. Das würde heißen, dass man nicht anstrebt, den Beruf attraktiver zu machen, sondern darauf baut, irgendwo doch noch Arbeitskräfte zu bekommen, die "sogar" bereit sind, in die Pflege zu gehen. 

Wir müssen doch an ganz anderen Punkten ansetzen. Die Kritikpunkte in der Pflege, die ich von vielen Pflegekräften höre, die dürften auch Frau Merkel bekannt sein. Der permanente Zeitdruck, die oft schlechte Bezahlung, die Überlastung, die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Unplanbarkeit von Erholungszeiten und Urlaub, das Holen aus dem Frei, und und und… Daran müssen wir doch ansetzen. Es reicht nicht, Kräfte aus dem Ausland zu holen. Ziel muss es sein, erfahrene Pflegekräfte in ihrem Beruf zu halten und den Nachwuchs zu motivieren. Und damit meine ich ganz klar: Wenn sich nichts ändert an dem sich immer mehr abzeichnenden Pflegenotstand, dann wird es langsam eng. 

Pflege muss endlich zur Chef(innen)-Sache werden

Dann werden immer mehr Pflegekräfte aus ihrem Beruf aussteigen. Dann werden motivierte Menschen aus dem Ausland auch sehr schnell in der deutschen Pflegerealität ankommen. Und sich bald woanders eine Arbeitsstelle suchen. Nämlich genau wie die deutschen Pflegekräfte. Der Arbeitsplatz Pflege muss für alle gleichermaßen attraktiv sein. Und nochmal: Einwanderung – natürlich! Afrika, Vietnam, Philippinen, EU – aber nicht um Arbeitsplätze zu besetzen, die sonst nicht mehr besetzt werden können. Wir müssen alles dafür tun JETZT umzusteuern. Wertschätzung für die Pflege zu beweisen, auch finanzieller Art. Und das nicht nur in Worten, sondern in Taten und entsprechenden Gesetzen, die auch wirklich greifen. 

Pflege ist ein zu wichtiges Thema – für uns alle. Die Maulwurftaktik – nämlich ab und zu mal einen Haufen aufwerfen, sprich das Thema anreißen, und wieder abtauchen – die reicht nicht. Pflege muss endlich zur wirklichen Chef(innen)-Sache werden. Das wäre eine Antwort gewesen, die ich mir von ihr in der Wahlarena gewünscht hätte – und der junge Pfleger sicherlich auch.