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Pflege-und Betreuungszeit können kaum durch Pflegegrade erklärt werden
Das 2016 an der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der
Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV)
gestartete Projekt "Pflege in Baden-Württemberg.
Entwicklung struktur- und prozessorientierter
Qualitätsindikatoren in der Langzeit-Pflege in
Baden-Württemberg" (PiBaWü) ist abgeschlossen und
dürfte noch für Diskussionen sorgen.

Die zentralen Ergebnisse der Studie stellen das System
der Berechnung der Personalausstattung in Heimen
infrage.
Innerhalb des drei Jahre laufenden Projektes bei dem
mit 58 stationären Pflegeeinrichtungen und 54
Pflegeschulen zusammengearbeitet wurde, wurde der
Zusammenhang von Pflegebedürftigkeit (Pflegegraden),
Pflegequalität und Personalausstattung in der
stationären Pflege untersucht. Auszubildende der
Pflegeberufe unterstützten das Forschungsvorhaben durch
die Erfassung der Pflege- und Betreuungszeit bei 2564
Bewohnerinnen und Bewohner über 48 Stunden an drei
Tagen in 85 Wohnbereichen, indem sie Pflegekräfte
begleiteten.
"Ein zentrales Ergebnis der Studie zeigt, dass die
Pflegestufen und übergeleiteten Pflegegrade die
erfasste Pflege- und Betreuungszeit nur zu 21 Prozent
erklären können", sagt Prof. Albert Brühl, Lehrstuhl
für Statistik und standardisierte Verfahren der
Pflegeforschung an der PTHV und Leiter der Studie. Mit
der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs
im Jahr 2017 lasse sich für die ausschließlich nach dem
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff eingestuften Bewohner
nur ein Anteil von 10 Prozent der Zeitunterschiede in
Pflege- und Betreuungszeit auf den Pflegegrad
zurückführen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass ein
Bewohner mit einem hohen Pflegegrad nicht mehr Pflege-
und Betreuungszeit erhalten muss als eine Bewohnerin
mit einem niedrigen Pflegegrad. Offensichtlich werde
jedoch, dass die Kriterien der Pflegebegutachtung nicht
zu einer der Pflegepraxis entsprechenden Einschätzung
von Pflegebedürftigkeit gelangen müssen. Die Tatsache,
dass der Erklärungsgehalt des Pflegegrades an der
Pflege- und Betreuungszeit einen so geringen Anteil
hat, werde insbesondere vor dem Hintergrund
problematisch, dass die Pflegegrade zur Berechnung der
Personalausstattung der Heime herangezogen werden.
"Hier können wir sehen, dass die personelle Ausstattung
und damit die für die einzelnen Bewohnerinnen und
Bewohner zur Verfügung stehende Pflege- und
Betreuungszeit von der Fähigkeit einer Einrichtung
abhängig ist, die Bewohnerin in einen möglichst hohen
Pflegegrad eingestuft zu bekommen", fasst Prof. Brühl
diese Problematik zusammen. Trotz gleicher gesetzlicher
Rahmenbedingungen für alle Einrichtungen führt dies zu
deutlichen Unterschieden in der Personalausstattung der
Heime.
Zentrale Probleme der Pflegepraxis
(Personalausstattung, Erbringen und Messen von
Pflegequalität) wurden, so ein Fazit der Forscher,
bislang durch den Standardisierungswillen und das
Kontrollbestreben der Politik mit Hilfe der
Pflegewissenschaft eher verschärft als gelöst. "Wir
halten es für dringend geboten, dass
Pflegeeinrichtungen mittels finanzieller Förderung für
Sach- und Personalaufwände sowohl zur Entwicklung von
Forschungskompetenzen als auch zur Beteiligung an
Pflegeforschungsprojekten befähigt werden, um
Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen der aktuell
drängenden Themen mit Hilfe wissenschaftlicher
Erkenntnisse schaffen zu können", so die beteiligten
Forscher.
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