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New Care: Wie Sie aus der Vergangenheit lernen

Im agilen Management-Konzept der Retrospektive geht es darum, sich damit zu beschäftigen, was zukünftig besser laufen könnte. D.h., heute möchten wir zur Abwechslung einmal nicht über die Corona-Krise sprechen. Stattdessen verlassen wir gedanklich den Krisenmodus…

Kip Sloane
Foto: rosenbaum-nagy Der Autor ist Berater bei der rosenbaum nagy Unternehmensberatung GmbH und freut sich auf Rückmeldungen und Diskussionen. Schreiben Sie einen Kommentar links oben in das Kommentarfeld! Kontakt zum Autor: E-Mail: sloane@rosenbaum-nagy.de

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist, aber bei mir dominierte die letzten Monate der Krisenmodus. Für mich sicherlich deutlich anders als für Sie – ich habe die Krise ja sozusagen nur in zweiter Hand erlebt, aber trotzdem war man für mehrere Monate irgendwie getrieben. Getrieben den Überblick zu behalten, einen Schritt schneller zu sein und Katastrophen unterschiedlichen Ausmaßes zu verhindern. Wie wäre es, wenn Sie die aktuelle Krise als Anlass nehmen, um einmal zu bewerten, was in den vergangenen Monaten gut funktioniert hat, was nicht gut funktioniert hat und was Sie zukünftig anders versuchen würden? Diese Leitfragen definieren einen Ansatz, der im agilen Management als Retrospektive bezeichnet wird. Also der systematische Blick auf Vergangenes mit dem Ziel, daraus zu lernen und Schlüsse abzuleiten, um in Zukunft besser zu werden. Dabei kann die Retrospektive auf alle Unternehmensabläufe bezogen werden. Egal ob es um einen Veränderungsprozess, die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters oder die Einführung einer Software geht, Sie können alles rückblickend auf den Prüfstand stellen, um es Morgen besser zu machen.

Viele Managementinstrumente, wie Jahresplanungen, Zielvereinbarungen, Budgetierungen, Projektmanagement oder Strategieprozesse sind alle zukunftsgerichtet. Hierbei wird versucht durch einen möglichst guten Blick nach vorne das Unvorhersehbare vorhersehbarer zu machen. Klingt irgendwie paradox und das ist es auch. Es ist vor allem aber unpraktisch, denn worin Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besser sind, ist die Bewertung dessen, was sie bereits konkret erlebt haben. Ich möchte Sie dazu einladen, sich damit auseinanderzusetzen, wie agile Unternehmen Restrospektiven gestalten, damit Sie Teile davon auf Ihre Organisation übertragen können, um nachhaltig besser zu werden.

So arbeitet Spotify mit einer kontinuierlichen Retrospektive

Sie kennen wahrscheinlich Spotify, den Musikstreaming-Anbieter? Aber wussten Sie auch, dass Spotify zu einem der Vorreiter von (wirklich) agilen Management-Strukturen gehört? Auf dem firmeneigenen Blog finden sich viele spannende Eindrücke zu der Ausgestaltung von agilem Management (engineering.atspotify.com/). Unter anderem auch die firmenindividuelle Umsetzung einer kontinuierlichen Retrospektive der eigenen Teamstimmung, die bei Spotify „squad health check“ heißt.

Im Rahmen einer kontinuierlichen Bewertung werden dabei zehn Parameter innerhalb des Teams (Spotify unterscheidet kleine selbstorganisierte Teams und nennt diese Squads [engl.= Kader/Team]) kontinuierlich aber spielerisch bewertet. Dabei werden nicht die einzelnen Teammitglieder sondern wird die Arbeit des gesamten Teams bewertet. Hierfür gibt es einen Orientierungsrahmen, der in Form eines Kartendecks zum Selbstausdrucken den Teams zur Verfügung gestellt wird. Neben vorgegebenen Impulsen (Qualität, Lernerfolg, Effizienz, Spaß, Missionserfüllung etc.) können die Teams weitere Bewertungsmerkmale ergänzen und bewerten.

Hierbei ist insbesondere der Bewertungsprozess wichtig für die Teams. Anstatt diesen als anonyme Befragung durchzuführen, werden im Rahmen eines Workshops die Bewertungsitems jeweils von jedem einzelnen Teammitglied in einer Ampel-Logik bewertet. Diejenige Bewertung, die von den meisten Teammitgliedern gewählt wurde, gilt als Teambewertung. Abschließend kann die Gesamteinschätzung des Teams wunderbar in den drei Ampelfarben visualisiert werden. Bei Spotify gibt es keine fixen Vorgaben für die Häufigkeit der Durchführung, eine quartalsweise Bestimmung hat sich jedoch bewährt. Die Workshops dauern ca. 90-120 Minuten, bei wiederholender Durchführung können Veränderungen im Zeitverlauf sichtbar gemacht werden. Spannend ist auch die Nebeneinanderstellung unterschiedlicher Teams, so können Unterschiede herausgestellt und Management-Aufmerksamkeit kann dahin gelenkt werden, wo Teams Unterstützung einfordern – idealerweise bevor eine drastische Intervention notwendig wird .
Was mich an dem Beispiel von Spotify begeistert, ist, dass es nicht die reine Lehre irgendeines Management-Prinzips ist, sondern ein unternehmensbezogen angepasstes und sehr wirkungsvolles Instrument. Jedem Team wird die Möglichkeit gegeben, niedrigschwellig in den Retrospektivenprozess einzusteigen und es stellt trotzdem sicher, dass es ein Ergebnis gibt, auf das Sie als Führungskraft konstruktiv reagieren können. Selbstverständlich kann auch hier der Kontext einer Retrospektive besser im klassischen Software-Entwicklungskontext dargestellt werden.

Aber ich würde Sie gerne zum “Querdenken” auffordern: Es gibt heute schon unterschiedliche Formate in der Pflege (Fallbesprechungen, Supervisionen oder im Kleinen Dienstbesprechungen), in denen Vergangenes aufgearbeitet wird. Warum sich nicht einmal damit auseinandersetzen, wie Sie diese Treffen verbessern oder systematisieren können. Warum nicht den eigenen Team-Gesundheitscheck entwickeln?
Denn die Vorteile von systematischen Feedback- und Evaluationsschleifen lassen sich sehr plastisch darstellen: Die Zusammenarbeit in den Teams wird gestärkt, wodurch sich die Arbeitsergebnisse verbessern lassen und gleichzeitig weniger Frust in den Teams entsteht, da diese Raum haben, um Probleme offen anzusprechen und innerhalb des Teams zu bearbeiten. Somit bieten Retrospektiven eine Möglichkeit, wichtige Führungsziele in den Teams zu erreichen, ohne direkt intervenieren zu müssen und somit die Eigenständigkeit und damit häufig auch die Zufriedenheit im Team zu stärken.

Selbstorganisierte Selbstreflexion im Team angehen
Um diese Vorteile realisieren zu können, benötigen Ihre Teams jedoch auch Unterstützung und methodische Hilfestellungen, um selbstorganisiert ein so komplexes Thema wie die Selbstreflexion anzugehen. Grundsätzlich sollten die nachfolgenden fünf Schritte in einer Retrospektive bearbeitet werden:

  • Voraussetzungen schaffen: Positive Grundstimmung aufbauen und Ankommen
  • Daten sammeln: Reflektion des zu betrachtenden Zeitraums
  • Einsichten haben: Warum ist alles so gekommen, wie es kam?
  • Aktionen beschließen: Erarbeitung von konkreten Maßnahmen (Begrenzte Anzahl)
  • Abschließen: Bestimmung der konkreten Schritte und Verantwortlichkeiten

Insgesamt sollten Retrospektiven sorgfältig systematisiert und im Unternehmensalltag verstetigt werden. Agile Organisationen führen sie häufig alle zwei Wochen durch, begrenzen aber die Dauer und den Teilnehmerkreis (Faustregel: <90 Min und <9 Teilnehmer). Von zentraler Bedeutung ist es, darauf zu achten, dass die Runden weder zu ständigen Schuldzuweisungen noch zu unkonkreten „Laberrunden“ werden, je nach Organisationsgröße werden Retrospektiven von Externen moderiert, die sowohl die methodischen Kompetenzen mitbringen als auch sachlich neutral sind.

Hierbei können wiederum konkrete Instrumente wie der Squad Health Check unterstützen. Erfreulicherweise gibt es im Kontext agiler Managementsysteme wie Scrum, Kanban oder ähnlichen sehr aktive Online-Communities, die teilweise kostenlos spannende Arbeitshilfen zur Verfügung stellen. Ein genauso hilfreiches wie niedrigschwelliges Angebot ist z. B. die Seite retromat.org/de. Hier können Sie zu jeder der oben beschriebenen Phasen konkrete Methoden für die Teamarbeit entdecken.

Abschließend bleibt für mich die Feststellung, dass ich mir als persönliche Krisenerkenntnis vorgenommen habe, häufiger kurz innezuhalten und darüber nachzudenken, was ich persönlich eigentlich aus gerade Erlebtem lernen kann. Insbesondere weil dies bedeutet, ab und zu einmal einen Schritt aus dem Alltags-Stress herauszutreten, um eine ausreichende Distanz zum eigenen Wirken aufzubauen. Etwas was sich einfach liest, in Realität aber sehr schwer sein wird. Umso wichtiger sich mit Hilfestellungen und einfachen Methoden dabei zu helfen, sich immer wieder daran zu erinnern. Denn wie schön wäre es, wenn Sie in der nächsten Krise sagen könnten: Hier haben wir zum Glück aus der letzten Krise gelernt.

Mit der Rubrik „New CARE – Erfolgsrezepte neugedacht“ möchte Kip Sloane neue Impulse und Diskussionsansätze für die Altenhilfe liefern. Zentraler Bestandteil hierbei sind Erfolgskonzepte aus anderen Branchen, die auf die Pflege übertragen werden. Hinter der Wortneuschöpfung New Care steht dabei die Idee, Ansätze aus dem neuen Arbeiten (New Work) auf die Pflege zu übertragen: Wir möchten Impulse geben, die Arbeitsbedingungen in der Pflege durch innovative Arbeitskonzepte und Ideen zu verändern.