Corona
Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz
Die Arbeiterwohlfahrt äußert sich kritisch zum Entwurf der Bundesregierung für ein neues Infektionsschutzgesetz ab dem 20. März. Es bedeute ein Ende der gesellschaftlichen Solidarität für vulnerable Menschen. Zudem sei die dauerhafte Zentralisierung der Datenerhebung im System Pflegeversicherung nicht sachgerecht. Der Gesetzentwurf für die neue Corona-Rechtsgrundlage ist auch nach Ansicht weiterer Experten und Landespolitiker unzureichend.

„Der Wegfall der meisten sinnvollen Schutzmaßnahmen verlagert die politische Verantwortung für den Bevölkerungsschutz auf den Einzelnen. Wenn in Geschäften und Supermärkten keine Masken mehr getragen werden, sind vulnerable Menschen neuen Risiken in ihrer Alltagsgestaltung ausgesetzt. Das ist nicht Normalität, sondern Exklusion all jener, die besonders durch das Virus bedroht sind. Angesichts der steigenden Infektionszahlen können diese Menschen sich kaum noch schützen“, erklärte Kathrin Sonnenholzner, Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt.
Der Verband kritisiert zudem die neuen Regelungen zur Datenübermittlung. Bisher waren Pflegeeinrichtungen nach Infektionsschutzgesetz verpflichtet, Daten zum Impfstatus vom Mitarbeitenden und betreuten Personen anonymisiert an die zuständigen Landesbehörden zu übermitteln. Diese Verpflichtung soll nun zentral auf das RKI umgelenkt und gleichzeitig ins SGB XI überführt werden. Ferner soll die Datenübermittlung Voraussetzung für die Zulassung für einen Versorgungsvertrag mit den Kassen werden und die Einhaltung durch deren Prüfdienste erfolgen. Noch sei unklar, wie lange die pandemische Lage anhalten wird. Die Datenerhebung werde aber unabhängig davon nun auf Dauer festgeschrieben. Das sei nicht nachvollziehbar, kritisiert die Awo und führt aus: „Die Überführung der Datenerhebung und -auswertung an das RKI mit einer bundesweiten statt länderbezogenen Auswertung ist nachvollziehbar. In Zeiten der Pandemie mag die Datensammlung im Sinne des Infektionsschutzes trotz hohen bürokratischen Aufwands bei gleichzeitiger dünner Personaldecke in den Pflegeeinrichtungen noch zu rechtfertigen sein. Eine dauerhafte Festschreibung dieser Pflicht im Pflegeversicherungsgesetz einschließlich externer Prüfung schießt aber über das Ziel hinaus. Vielmehr sollte die Datenerhebung weiter im IfSG verankert bleiben und regelmäßig einer pandemiebedingten Bedarfsprüfung unterzogen werden. Auch die Überführung der Pflichten auf die Kassen bzw. deren Prüfdienste ist nicht sachgerecht. Die Überprüfung der Einhaltung des IfSG ist nicht Aufgabe der Kassen. Hier werden Aufgaben, die eigentlich dem öffentlichen Gesundheitsdienst unterliegen, auf Dritte abgewälzt.“
Der in dieser Woche vorgelegte Entwurf der Bundesregierung für die neue Corona-Rechtsgrundlage ab 20. März ist auch nach Ansicht weiterer Experten und Landespolitiker unzureichend. „Es regiert das Prinzip Hoffnung“, sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und der „Augsburger Allgemeinen“. Der vereinbarte Basisschutz sei zwar besser als nichts. Aber: „Die Politik hat weitergehende, sinnvolle Maßnahmen erfolgreich zerredet.“ Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält die Änderung des Infektionsschutzgesetzes auch für ungenügend, um den Schutz aller vulnerablen Gruppen zu gewährleisten, etwa bei Pflegebedürftigen, die zuhause und nicht in Heimen leben. Auch mehrere Bundesländer hatten die Pläne kritisiert.
Geregelt wird in dem Entwurf, was die Länder weiter verordnen können, wenn zum 20. März wie vereinbart alle tiefgreifenden Schutzmaßnahmen entfallen. Möglich sein sollen dann noch Maskenpflichten in Pflegeheimen, Kliniken und öffentlichem Nahverkehr sowie Testpflichten in Pflegeheimen und Schulen. Bundesweit bleiben soll außerdem die Maskenpflicht in Fernzügen und Flugzeugen. Wenn sich vor Ort die Corona-Lage zuspitzt, sollen dort einige schärfere Auflagen verhängt werden können: Maskenpflichten, Abstandsgebote, Hygienekonzepte sowie Impf-, Genesenen- oder Testnachweise (3G/2G/2Gplus) – aber nur, wenn sich vorher das jeweilige Landesparlament damit befasst hat. Andere Maßnahmen wie etwa Kontaktbeschränkungen wurden auf Drängen der FDP aus dem Katalog der Schutzmöglichkeiten gestrichen, obwohl die weitere Entwicklung des Virus unklar ist. Ursprünglich hatte sie aber bis auf die Maskenpflicht alles streichen wollen.
Mehrere Bundesländer hatten den Koalitionskompromiss kritisiert, auch Länderchefs aus den Berliner Ampel-Parteien. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) etwa hält es für „grob fahrlässig, wenn die Bundesregierung ohne Not wirksame Instrumente für den Notfall aus der Hand gibt“. Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) hatte gesagt: „Man wirft doch den Feuerlöscher nicht weg, wenn es noch brennt.“ Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte sich kritisch geäußert. Denn immerhin steigen die Neuinfektionszahlen wieder, wenn auch bei meist milderem Verlauf.
Regierung und Koalitionsabgeordnete wandten sich gegen die Kritik. Die neuen Hotspot-Regelungen trügen den Wünschen der Länder Rechnung, bei Bedarf schärfere Maßnahmen anzuordnen, sagte Gesundheits-Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) der „Augsburger Allgemeinen“. Und der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann sagte der Zeitung, künftig stünden Eigenverantwortung und Schutz der vulnerablen Gruppen im Mittelpunkt. Das sieht der Vorstand der Patientenschutz-Stiftung, Eugen Brysch, allerdings nicht so: Anders als bei Heimbewohnern sehe die Gesetzesnovelle nichts zum Schutz zuhause lebender Pflegebedürftiger vor, sagte er den Funke-Zeitungen. Die Koalition vergesse Millionen Hilfsbedürftige und ihre Angehörigen.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) lobte den Entwurf, forderte aber noch Änderungen in Details, „um Missverständnisse und unterschiedliche Interpretationen auszuschließen“, wie er der „Welt“ sagte. „Insbesondere müssen die Eingriffsschwellen für die Hotspot-Maßnahmen im Gesetz genau definiert werden.“ Ähnlich argumentierte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen: „Voraussetzung müssen dann aber auch harte Daten sein, wie zum Beispiel die Belegung von Intensivstationen durch Coronafälle, um nicht den Eindruck von Beliebigkeit zu erwecken“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
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