Blog
Ein Sabbatical in der Pflege ist (un)möglich
Was in anderen Branchen funktioniert, könnte doch auch in der Pflege möglich sein – so wie eine längere Abwesenheit, also ein Sabbatical. Doch warum sollten Sie als Arbeitgeber ein solches Modell unterstützen?

Kaum ein Thema beherrscht aktuell die Fachdiskussion so dominant wie der Fachkräftemangel. Der latente Mangel an Personal stellt viele Träger vor existentielle Fragen: Kann das Angebot in Anbetracht der Personaldecke überhaupt noch aufrechterhalten werden? Analog zur Feststellung der Mangelsituation wird eine lebendige Diskussion darüber geführt, wie die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden kann. Ich möchte diese Diskussion auffrischen und Sie als Leser dazu ermuntern einmal ‚quer zu denken‘. Schauen Sie sich an, wie Branchen reagiert haben, die den Fachkräftemangel schon seit Langem spüren und übertragen Sie diese unkonventionellen Ansätze auf die Pflege. Gerade das Unkonventionelle kann für Sie schnell zu dem besonderen Faktor werden, der die nächste Pflegekraft für Sie begeistert.
In diesem ersten Teil möchte ich Sie dazu ermutigen längerfristige Abwesenheiten – sogenannte Sabbaticals – als Teil der langfristigen Mitarbeiterbindung querzudenken. Große Konzerne und interessanterweise auch öffentliche Arbeitgeber gestehen den Mitarbeitern zu, langfristige Auszeiten zu realisieren. Bei Unternehmen wie McKinsey, BMW, Siemens und HP können Mitarbeiter in unterschiedlichen Modellen über einen definierten Zeitraum eine Auszeit nehmen. Die Mitarbeiter sparen üblicherweise über einen längeren Zeitraum auf die Auszeit hin, damit in dieser dann weiterhin ein Teil-Gehalt ausgezahlt wird. Konkret sieht es meistens so aus, dass die Beschäftigten über mehrere Jahre auf einen bestimmten Gehaltsbestandteil verzichten (Bsp. über 2 Jahre hinweg werden lediglich 2/3 des Gehalts ausgezahlt), dafür erhalten sie dann während der einjährigen Auszeit weiterhin ein Einkommen (konstant 2/3 des Gehalts). Somit ergibt sich kein Mehraufwand für den Arbeitgeber und der Beschäftigte hat die Möglichkeit die Auszeit ohne unverhältnismäßige finanzielle Zusatzbelastung zu bestreiten.
Die Modelle und die Ausgestaltung der Sabbaticals unterscheiden sich dabei stark von Arbeitgeber zu Arbeitgeber und gemäß der Vorstellung des Arbeitnehmers. In der Unternehmensberatung McKinsey kann z.B. eine Auszeit von bis zu drei Monaten nach einem abgeschlossenen Projekt genommen werden. Viele Mitarbeiter nutzen die Auszeit für lange Reisen, dem Nachgehen eines bestimmten Hobbys oder auch für die eigene Weiterbildung. Einige Unternehmen unterstützen die Beschäftigten auch dabei die Auszeit zu gestalten, indem Sie z.B. soziale Projekte im Ausland vermitteln.
Aber warum sollten Sie als Arbeitgeber ein solches Modell unterstützen? Die lange Auszeit bietet direkt mehrere Chancen: Sie erhöht die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Beschäftigten können sich während der Auszeit persönlich oder fachlich weiterentwickeln. Außerdem binden Sie die Beschäftigten langfristig an das Unternehmen. Auch wenn es zunächst widersprüchlich klingt, aber das Gewähren von längerfristigen Auszeiten ist gut für die Mitarbeiterbindung. Das Erarbeiten und Gewähren der Auszeit ist ein mehrjähriger Prozess, in welchem dem Mitarbeiter konstant bewusst ist, dass der Arbeitgeber etwas Gutes für ihn tut. Gleichzeitig geht er durch ein verringertes Gehalt gewissermaßen in Vorleistung und wird demnach während der Zeit des Ansparens nicht leichtfertig kündigen. Unterschiedliche Studien zu diesem Thema weisen außerdem eine langfristige Entlastung und eine Kompetenzzunahme der Sabbatical-Nehmer nach. Darüber hinaus gibt es kaum eine Personalbindungsmaßnahme, die so eine geringe Investition des Arbeitsgebers erfordert: Sie müssen keinen zusätzlichen Euro in die Hand nehmen, Sie müssen lediglich in die eigene Arbeitsorganisation investieren.
Jetzt werden Sie vermutlich denken, schön und gut, "ABER bei uns in der Pflege geht das nicht so einfach". Genau dieses ABER würde ich jedoch gerne in Frage stellen. Warum sollte dieses Modell in der Pflege nicht realisierbar sein? Ganz im Gegenteil sehe ich Pflegekräfte als ideale Sabbatical-Kandidaten an. Pflegekräfte erleben sowohl eine starke körperliche als auch eine starke emotionale Belastung. Viele haben das Gefühl ausgelaugt und ausgebrannt zu sein. Anstatt diese Leute (unbeabsichtigt) durch die ununterbrochene Tätigkeit in Überlastungssituation zu bringen, die schlimmstenfalls in psychischen Erkrankungen enden, wäre es eine attraktive Alternative, diesen Menschen eine selbsterarbeitete Auszeit zu gewähren. Natürlich muss diese Auszeit vorbereitet werden und Sie müssen Anpassungen in Ihrer Arbeitsorganisation vornehmen, aber diese Auszeiten sind auch für Pflegeanbieter darstellbar. Interessanterweise ist das Sabbatical bei Beamten fest etabliert. Lehrer nutzen diese Möglichkeit regelmäßig und auch Lehrer stehen in einem direkten Vertrauens- und Verantwortungsverhältnis zu ihren Schülern. Es lassen sich also Parallelen zu Pflegekräften ziehen.
Ohne zu viele Vorurteile bedienen zu wollen, sollten Sie sich die Frage stellen: Kann es wirklich sein, dass die öffentliche Verwaltung Sie in Sachen Innovationsfreude und Arbeitsgeberattraktivität übertrumpft? Am Ende kann ich nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass das Sabbatical ein ganz klarer Attraktivitätsfaktor ist. Natürlich haben Sie recht, wenn Sie jetzt denken, dass diese Meinung letztendlich nicht allein ausschlaggebend für Ihre Fachkräftesuche ist. Aber ich sehe mich als einer von vielen jungen Menschen, die heute in ihren Mitt-Zwanzigern bis Mitt-Dreißigern stehen und sich neue Arbeitsmodelle wünschen – New Care eben.
Blogserie New Care
Mit der Rubrik "New Care – Erfolgsrezepte quergedacht" möchte ich neue Impulse und Diskussionsansätze für die Altenhilfe liefern. Zentraler Bestandteil hierbei sind Erfolgskonzepte aus anderen Branchen, die auf die Pflege übertragen werden. Hinter der Wortneuschöpfung New Care steht dabei die Idee, Ansätze aus dem neuen Arbeiten (New Work) auf die Pflege zu übertragen: Wir möchten Impulse geben, die Arbeitsbedingungen in der Pflege durch neue Arbeitskonzepte und innovative Ideen zu verändern.
Über den Autor
Kip Sloane ist Fachberater bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH und freut sich auf Rückmeldungen und Diskussionen. E-Mail: sloane@rosenbaum-nagy.de, außerdem natürlich auch via facebook oder xing.
Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu verfassen.
Sie haben noch kein Konto?
Jetzt registrieren