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Braucht die Pflege Skandale?
Dieser Tage lief im Abendprogramm eines privaten Senders eine Reportage über die Versorgung in einer Einrichtung der Behindertenhilfe. Ein ungewöhnliches Thema abends zur besten Sendezeit, und das auf einem Sender, der sonst bekannt ist für Sendungen wie das Dschungelcamp.

Ich habe mir die Sendung angeschaut und hätte nach kurzer Zeit am liebsten gerufen: "Holt mich hier raus!". Gezeigt wurden Szenen, die mit verdeckter Kamera von einer Journalistin dokumentiert wurden, die als Praktikantin in einer Einrichtung arbeitete. Zu sehen waren – anonymisiert – behinderte Menschen, mit denen in einer nicht akzeptablen und unwürdigen Art und Weise umgegangen wurde. Ich war schockiert von den Szenen. Und ich habe mich gefragt: Wie lange geht das wohl schon so und wie kann ein solches Verhalten der Einrichtungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter toleriert werden.
Immer wieder erwähne ich bei Veranstaltungen, wie wichtig die Rolle der Medien für die Außenwahrnehmung von Pflege und pflegerischer Versorgung ist. Wie genervt ich von Skandal-Berichten bin und der im Gegenzug viel zu kurz kommenden positiven Darstellung von Pflege. Ich werde nicht müde zu sagen, dass wir jeden Tag mehrere Berichte über gute Pflege und tolle Pflegekräfte in jeder deutschen Zeitung lesen müssten. Denn die Negativschlagzeilen über Pflege sind für mich ein komplettes Kontrastprogramm zum täglichen Engagement der Pflege- und Betreuungskräfte. Als ich den Programmhinweis zu dieser besagten Sendung las, dachte ich erst: nicht schon wieder! Danach war ich anderer Meinung.
Es fällt offenbar wirklich schwer, sich mit dem Thema Pflege auseinander zu setzen. Ich denke, das liegt an unserer eigenen Angst vor Pflegebedürftigkeit, vor Hilflosigkeit, vor Abhängigkeit, davor, dem Tun und dem Willen anderer ausgesetzt zu sein. Darum schauen wir lieber weg. Und denken: Es trifft jeden, nur nicht uns selbst. Und dann trifft es uns doch, unerwartet bei einem gemütlichen Fernsehabend wie ein kalter Waschlappen. Da, wo sonst die Schönen und Reichen sinnfreie Dialoge führen, wird uns plötzlich unsere eigene Angst in Wort und Bild drastisch ins Wohnzimmer geliefert.
Gut ist, dass in diesem Fall der Einrichtungsträger reagiert und die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freigestellt hat. Gut ist, wenn in Zukunft genauer hingeschaut wird. Diese Berichterstattung hat sich gelohnt für die hilfsbedürftigen Menschen. Und diese Berichterstattung hat sich für uns alle gelohnt. Unhaltbare Zustände wurden öffentlich und damit eine Veränderung auf den Weg gebracht.
An diesem Abend musste ich mir etwas eingestehen: Wir brauchen zwar keine Skandalberichterstattung, denn die geht in ihrer Zuspitzung immer auch an der Realität vorbei. Aber wir brauchen natürlich Berichte über Missstände, die skandalös sind. Und wir sollten uns empören.
Dennoch, ich will auch darüber lesen und im Fernsehen sehen, wie gute Pflege jeden Tag an so vielen Orten in Deutschland stattfindet. Lieber Privatsender, wäre es nicht schön anstelle des Dschungelcamps mal eine Serie über vorbildliche Pflegeeinrichtungen zu machen? Wahrscheinlich würden wir nicht unbedingt rufen "Ich will da rein!" Aber es würde vielleicht unsere Ängste relativieren und den ramponierten Ruf der Pflege in ein wohlverdientes positives Licht rücken.
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