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Bezahlte Pflegezeit und die verpassten Chancen in der Pflegepolitik

Die Forderung der Unions-Bundestagsfraktion nach einer bezahlten Pflegezeit – gemäß dem Vorbild des Elterngeldes – findet Elisabeth Scharfenberg enttäuschend, aber leider nicht überraschend.

Elisabeth Scharfenberg
Foto: Michael Farkas Elisabeth Scharfenberg ist Pflegeexpertin. Von 2005 - 2017 war sie Mitglied des Deutschen Bundestags. Wie ist Ihre Meinung zum Thema? Schreiben Sie einen Kommentar unten in das Kommentarfeld!

Von Elisabeth Scharfenberg

Auf den ersten Blick mag  die Forderung der Unions-Bundestagsfraktion wie ein Schritt in die richtige Richtung erscheinen, um die drängenden Probleme im Bereich der Pflege anzugehen. Doch ich kann nicht umhin, mich zu fragen, warum wir so viele Jahre gebraucht haben, um überhaupt darüber nachzudenken. Als ehemalige Bundestagsabgeordnete und langjährige Kämpferin für eine bessere Pflegepolitik mache ich nochmal ganz deutlich, dass pflegende Angehörige schon vor vielen Jahren mit denselben Sorgen und Nöten konfrontiert waren, die heute als Grundlage für diese Forderung dienen. Die Herausforderungen im Pflegesektor sind nicht erst seit gestern bekannt – und dennoch haben wir  – neben der Politik auch die gesamte Gesellschaft – es versäumt, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um diese Menschen zu unterstützen.

Während meiner Zeit im Bundestag habe ich mich immer wieder für eine ganzheitliche und nachhaltige Pflegepolitik eingesetzt. Ich habe mit pflegenden Angehörigen gesprochen und ihre Geschichten gehört. Es geht nahe, mit anzusehen, wie sie zwischen ihrer beruflichen Verantwortung und der Pflege ihrer Angehörigen hin- und hergerissen sind. Die physische und emotionale Belastung, die mit der Pflege einhergeht, ist oft kaum zu bewältigen – und dennoch haben wir sie all die Jahre im Stich gelassen.

Die Idee einer bezahlten Pflegezeit mag verlockend klingen, aber ohne eine solide Umsetzungsstrategie und die notwendigen finanziellen Mittel ist sie nur eine leere Geste. Pflegende Angehörige stehen oft vor der Wahl, ihre eigene berufliche Karriere aufzugeben, um sich der Pflege zu widmen. Diese Entscheidung kann langfristige Auswirkungen auf ihre finanzielle Sicherheit, auf ihre eigene Altersversorgung und ihre persönliche Gesundheit haben.

Während die Forderung nach einer bezahlten Pflegezeit nun wieder ins Rampenlicht gerückt ist, frage ich mich, warum sie nicht schon viel früher umgesetzt wurde. Die damals Regierenden und jetzige Opposition hatte während meiner Zeit im Bundestag schon die Möglichkeit, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation pflegender Angehöriger zu verbessern. Doch diese Möglichkeit – insbesondere der finanziellen Entlastung – wurde jahrelang ignoriert.

Es ist an der Zeit, dass die politischen Parteien aufhören, Pflegepolitik für Sonntagsreden zu missbrauchen. Pflegende Angehörige verdienen mehr als leere Versprechungen. Sie brauchen konkrete Unterstützung und finanzielle Absicherung, und zwar schon seit Jahren. Die Forderung nach bezahlter Pflegezeit ist längst überfällig und darf nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden.

In Erinnerung an all die verpassten Chancen und die Jahre des Stillstands in der Pflegepolitik appelliere ich an die politischen Entscheidungsträger:innen, endlich zu handeln. Eine bezahlte Pflegezeit nach dem Vorbild des Elterngeldes mag nur ein erster Schritt sein, aber er ist längst überfällig. Diejenigen, die jahrelang auf konkrete Unterstützung gewartet haben, haben das Recht auf eine Politik, die ihre Bedürfnisse ernst nimmt und ihnen die Anerkennung gibt, die sie verdienen.