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Volksnah via Facebook – geht das?

Vor knapp vier Wochen hatten wir die Wahl. Zu unser aller Überraschung rückte in den letzten beiden Wochen vor dem Wahltermin das Thema Pflege nochmal richtig in den Fokus. Da wurde über menschenwürdige Pflege, über Personalbemessung, über Bezahlung der Pflegekräfte und auch über die Attraktivität des Pflegeberufes diskutiert. Und alle Themen, die waren ehrlich gesagt nix Neues.

- Elisabeth Scharfenberg, Politikerin

Es gab keine Aussage oder plötzliche Forderung von Merkel oder Schulz, die wir, die wir in der Pflege und Pflegepolitik aktiv sind, nicht schon mal selbst ausgesprochen hätten. Es gab nichts, das ich nicht in zahlreichen Facebook-Foren nicht schon gelesen hätte oder das auf den Podiumsdiskussionen der letzten Jahre unerwähnt geblieben wäre. Der letzte Bundestag hatte eine Opposition von 20 Prozent der Abgeordneten. Diese und auch die Oppositionen in den Jahren davor haben immer wieder auf die Situation der Pflege hingewiesen und in ihren Anträgen Verbesserungen gefordert. Initiativen wie etwa CareSlam oder Pflege in Bewegung, Pflege am Boden oder die Gewerkschaften – es  wurde alles von allen schon formuliert. Auch Claus Fussek wird seit Jahrzehnten nicht müde, die Missstände in der Pflege zu benennen. Alles ungehört verhallt. Selbst die Streiks der Pflegenden haben die Regierenden kaum beeindruckt.

Und nun wurde das Thema Pflege kurz vor knapp noch von den Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern entdeckt. Plötzlich ging die Post ab. Plötzlich wurde es zur Chefinnensache. Martin Schulz stellte einen 100-Tage-Pflege-Aktionsplan in Aussicht. Gut so – wenn er denn wirklich umgesetzt wird. Frau Merkel formulierte ein unerwartetes Bekenntnis zur Pflege. Auch gut so – wenn sich für die Pflege etwas ins Positive bewegt. Und natürlich ist der Funke auch in die Sozialen Medien übergesprungen. Viel wurde da diskutiert. Nicht immer konstruktiv. Oft auch sehr frustriert.

Der CDU- Politiker Jens Spahn hat bei Facebook den Ball aufgenommen, der im Spielfeld der Politik lag und gefragt: "Was erwartet Ihr Euch von der nächsten Bundesregierung? Welche Projekte sollten ganz oben auf der Agenda stehen?". Es gab eine kontroverse Diskussion. Aus der offenen Frage, in der er ja alle Politikfelder ansprach, entwickelte sich sehr schnell eine Pflegedebatte. Werner Schell vom Pro Pflege Selbsthilfenetzwerk wies darauf hin, dass im Pflegesystem die wichtigsten Baustellen nicht abgearbeitet worden sind. Es wurden auch die 10 Forderungen von "Junge Pflege im DBfK" an die zukünftige Bundeskanzlerin thematisiert. Ein Papier, das vieles auf den Punkt bringt. Und es ist gut, dass die "Junge Pflege" ihre berufspolitischen Interessen hier klar formuliert und auch adressiert, nämlich an die Bundeskanzlerin. Frau Merkel täte gut daran, diese Forderungen aufmerksam zu lesen.

Jens Spahn hat gefragt und er bekam viele Antworten. Das hat mir gefallen. Darum hat mich ein Kommentar sehr irritiert: "Die Aufforderung des Posts ist ja alleine schon ein Zeugnis von eigener Blindheit und null Volksnähe, Herr Spahn. Wenn man selbst kein Konzept hat und die Dringlichkeit der wichtigen Sachen nicht sieht, fragt man das Volk." – Hallo? Wie bitte? Liebe Schreiberin dieses Posts: Wen, wenn nicht das Volk, soll die Politik fragen?! Hier wurde der Wunsch nach Sich-einbringen ernst genommen. Aber, lieber Jens Spahn, ich hoffe, viel von den Anregungen auch in den Koalitionsverhandlungen wieder zu finden. Nur dann macht die Frage an "das Volk" auch wirklich Sinn.