Recht
Streit um Essen in Cafeteria: Parteien stimmen Vergleich zu
Das Seniorenzentrum Mühlehof in Steinen (Landkreis Lörrach) möchte seine Cafeteria wieder öffnen, damit die Senioren zusammen essen können. Dafür war der Anwalt bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Nun stimmten die Parteien einem Vergleich zu. Renommierte Experten fordern unterdessen, die soziale Teilhabe müsse zumindest für die Bewohnerinnen und Bewohner von Senioreneinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung ermöglicht werden, die einen vollständigen Impfschutz erhalten haben. Sie fordern den Bundestag auf, das Infektionsschutzgesetz zu ergänzen.

Im Streit um gemeinsames Essen geimpfter Senioren in Corona-Zeiten in Südbaden hatte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim nach einer zunächst abschlägigen Entscheidung einen Vergleichsvorschlag vorgelegt, der den Betrieb der Cafeteria für geimpfte oder genesene Bewohner und Mitarbeiter erlaubt. Er hatte das mit einer Neueinschätzung des Robert Koch-Instituts begründet, wonach Geimpfte kaum noch ansteckend seien. Das Seniorenzentrum nahm den Vorschlag am 12. April an. Diesem stimmte am selben Abend auch das Gesundheitsministerium weitestgehend zu. “Wir sind an einer für alle Beteiligten zufriedenstellenden Einigung interessiert. Dabei gilt es, das Bedürfnis älterer geimpfter Menschen nach Normalisierung genauso im Blick zu behalten wie alle Erkenntnisse des Gesundheitsschutzes”, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) in Stuttgart. Lucha kündigte weitere Änderungen mit Blick auf Geimpfte für stationäre Einrichtungen der Pflege. Hier können bei einer Durchimpfungsrate von 90 Prozent der Bewohner wieder mehr Besuche ermöglicht werden. Die Hygienemaßnahmen, insbesondere die qualifizierte Maskenpflicht und die Testung vor Zutritt für Besucherinnen und Besucher gelten laut Lucha aber weiterhin fort.
Der Sozialwissenschaftler Prof. Thomas Klie sowie der Anwalt der Einrichtung, Patrick Heinemann, hatten außerdem in einem gemeinsamen Schreiben gefordert, den Entwurf von § 28b des Infektionsschutzgesetzes um folgende Formulierung zu ergänzen: “Von den Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 ausgenommen sind Zusammenkünfte im privaten Raum von Personen, die über einen vollständigen Impfschutz gegen das SARS-CoV-2 verfügen und in Senioren- und Behindertenheimen sowie Einrichtungen des betreuten Wohnens für Senioren und Behinderte leben.”
Die soziale Teilhabe müsse zumindest für die Bewohnerinnen und Bewohner von Senioreneinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung ermöglicht werden, die einen vollständigen Impfschutz erhalten haben. Alles andere sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, heißt es in dem Schreiben weiter.
Auch das Kuratorium Deutsche Altershilfe forderte Lockerung der Corona-Einschränkungen für geimpfte Heimbewohner und warnte vor Grundrechtsverletzungen. “Es ist ganz grundsätzlich eine Frage, ob die sehr restriktiven Einschränkungen, die in Seniorenheimen gelten, überhaupt vertretbar sind”, erklärte Kuratoriumsmitglied und Sozialpolitik-Professor Frank Schulz-Nieswandt. “Denn auch Heimbewohner haben das Recht, zumindest mit darüber zu entscheiden, ob und in welche Gefahr sie sich bringen wollen, um etwa Freiheitsrechte nicht gänzlich zu verlieren.” Das Kuratorium Deutsche Altershilfe warf die Frage auf, inwieweit die beanstandeten Grundrechtsbeschränkungen tatsächlich Corona geschuldet seien und inwieweit sie mit den strukturellen Problemen in der Pflege zusammen hingen. “Es ist offensichtlich, dass etwa die an sich absolut angebrachte Befragung jedes einzelnen Heimbewohners zu seiner persönlichen Situation vor der Verhängung von freiheitsbeschneidenden Maßnahmen schon aus Gründen des Personalmangels gar nicht möglich gewesen wäre”, erklärte Schulz-Nieswandt. Grundsätzlich müsse die Gesellschaft die Frage beantworten, ob “Kasernierung” das Modell der Zukunft sein solle oder im Alter lebenslanges, eigenverantwortliches Zusammenleben in Gemeinschaft ermöglicht werden sollte.
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