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Rollentausch mal anders…

„Wissen Sie eigentlich, wovon Sie sprechen?“, werde ich manchmal gefragt. Indirekt ist das eine Aufforderung von beruflich Pflegenden, ich möge doch ihren Alltag einmal kennenlernen. Ich solle mich doch einmal hineinversetzen in ihre Perspektive. Das finde ich absolut richtig und notwendig. Doch Rollentausch zwischen Pflege und Politik – das funktioniert auch andersherum.

- Elisabeth Scharfenberg, Politikerin

Seit 2005 bin ich  pflegepolitische Sprecherin im Bundestag. Seit dieser Zeit mache ich hauptberuflich Politik. Das ist eine Arbeit, die mir und meiner Familie viel abverlangt. Pendeln zwischen oberfränkischer Heimat und Berlin, Abwesenheit während Sitzungswochen, quasi permanente Erreichbarkeit und die Tatsache, dass es immer noch mehr zu tun gäbe, noch mehr Papiere zu lesen und zu erstellen, noch mehr Gespräche zu führen. 

Aber die Arbeit als Politikerin ist auch wunderbar. Für mich ein Mandat auf Zeit mit der Chance, etwas zu bewirken, zum Beispiel für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Für viele hierzulande eine abgehobene Tätigkeit. In Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern und insbesondere in Kommentaren auf Facebook erlebe ich immer wieder, dass mir darum der Bezug zu einem normalen Alltags- und Berufsleben abgesprochen wird. So nach dem Motto: Sie da in Berlin haben doch keine Ahnung! Sie haben ja noch nie am Bett gepflegt! Sie wissen doch überhaupt nicht, wovon Sie reden…

Eines stimmt: Ich bin keine gelernte Pflegerin, sondern Sozialarbeiterin. Bezug zur Praxis habe ich dennoch und halte das für wichtig, denn: Wer Pflegepolitik machen will, muss sie auch mit den Augen von Pflegenden betrachten. Eine Gelegenheit ist beispielsweise die "Aktion Rollentausch" vom bayerischen Sozialministerium. Da werde ich für einen Tag zur (angeleiteten) Pflegerin. Und ich bin keine, die nur zum Fototermin dekorativ bei den Pflegekräften steht, sondern arbeite eine Schicht mit. Und ich lerne viel an solchen Tagen. Das weiß ich zu schätzen.

Rollentausch zwischen Pflege und Politik 

Rollentausch funktioniert auch umgekehrt. Und das ist spannend. Im Dezember hatte ich Besuch von einer Gruppe Studierender der Pflegewissenschaften, die in München ein duales Studium absolvieren und in Berlin mit uns PflegepolitikerInnen diskutiert haben. Engagierte junge Frauen und Männer, die das Thema Pflege sehr ernst nehmen. Am Ende der Diskussion habe ich das Angebot gemacht, mich eine Woche in Berlin bei all meinen Terminen zu begleiten. Und siehe da, nach kurzer Zeit meldete sich Nathalie bei mir. Vergangene Woche ist Nathalie in die Rolle der Berufspolitikerin geschlüpft. Sie war von früh bis abends an meiner Seite. Nathalie nahm an allen Sitzungen und am Gesundheitsausschuss teil. Wenn ich im Plenarsaal unten saß, war Nathalie auf der Besuchertribüne. Bei Podiumsdiskussionen war sie Teil des Publikums, beim parlamentarischen Abend des Gemeinsamen Bundesausschusses traf sie sogar auf den Gesundheitsminister.  

Nathalie und ich hatten während der langen Arbeitstage viel Gelegenheit uns auszutauschen, uns kennenzulernen. Sie weiß jetzt, wie sich das anfühlt, in Berlin hauptberuflich Politik zu machen. Und für mich ist es ein absoluter Gewinn, direkte Rückmeldungen aus der Praxis zu bekommen. Ich bin mir sicher, dass Nathalie nun viele Dinge mit anderen Augen sieht – und ich übrigens auch. Wir haben es beide ernst gemeint mit dem Rollentausch und haben beide davon profitiert. Über den eigenen Tellerrand schauen, mal den Blickwinkel ändern oder auch einfach dem anderen zuhören ist immer eine Bereicherung. Und Gelegenheiten für solch einen Perspektivwechsel sollten wir immer nutzen, egal in welchem Beruf.