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Privater Egoismus vor Verantwortung

Vor einem Jahr gingen wir in den ersten Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie. Kein Mensch hätte damals geglaubt, dass wir uns 12 Monate später immer noch in einer ähnlichen Situation befinden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ernst jede und jeder in dieser ersten Welle alle Einschränkungen genommen hat. Genervt zwar, aber verantwortungsbewusst.

Elisabeth Scharfenberg
Foto: Michael Farkas Elisabeth Scharfenberg ist Pflegeexpertin. Von 2005 - 2017 war sie Mitglied des Deutschen Bundestags. Wie ist Ihre Meinung zum Thema? Schreiben Sie einen Kommentar links oben in das Kommentarfeld!

Offensichtlich stumpfen wir aber ab, gewöhnen uns an den Umgang mit dem Virus. So kommt es mir zumindest vor, wenn ich mich so umschaue. Wir sind mitten im Lockdown – seit drei Monaten – übrigens. Viel mitbekommen tue ich davon aber leider nichts. Gerade teilte mir eine Bekannte mit, dass sie nun ihren Sohn besucht übers Wochenende und dass ihre Tochter zu dieser Gelegenheit aus Norddeutschland auch dazu kommt. Was? Hey, die Regel lautet: nur zwei Hausstände! Auf Nachfrage reagiert sie mit Unverständnis. Es handele sich doch nur um ein Familientreffen. So oder so ähnlich läuft das wohl an vielen Orten oder bei vielen Familien oder Freunden ab.

Wenn ich persönlich Besuche ablehne, aufgrund der Corona-Regeln werde ich schief angeschaut und für kleinlich gehalten. Ehrlich – ich finde, da läuft echt was schief! Die Lockerungen, die lautstark eingefordert werden, die werden schon jetzt mehr als ausgehebelt. So kann das doch nix werden mit dem endgültigen Brechen der Wellen. Privater Egoismus wird vor gesamtgesellschaftliche Verantwortung gestellt.

Ich habe Verständnis für das Klagen der Wirtschaft und Unternehmen, die nicht selten am Rande ihrer Existenz stehen. Sie können sich den Reglementierungen des Lockdowns nicht entziehen. Kein Verständnis habe ich aber für diejenigen, die sich im Schatten der Privatheit durchmogeln und damit das Corona-Drama unnötig verlängern. Ich selbst lebe in einer der belastetsten Regionen in Deutschland. Bei uns ist keine Entspannung in Sicht. Im Gegenteil! Für das Gesundheits- und Pflegewesen ist das hier der Tanz auf dem Vulkan. Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte – sie sind diejenigen, die dieses inakzeptable und unverantwortliche Verhalten in der Folge bei der Versorgung der Corona-Erkrankten ausbaden müssen.