Personal
Neue Personalbemessung: Wie Pflegeheime sich vorbereiten sollten
Ab 1. Juli 2023 werden die Personalschlüssel durch ein neues Personalbemessungsverfahren (PeBeM) abgelöst. Wie sich Pflegeeinrichtungen jetzt darauf vorbereiten sollten, erläutert Experte und Berater Michael Wipp, von WippCARE hier im Interview und auf dem Altenheim Management Kongress.

Herr Wipp, ab 1. Juli 2023 werden die Personalschlüssel durch ein neues Personalbemessungsverfahren abgelöst. Was raten Sie den Einrichtungen, wie sie sich darauf rechtzeitig vorbereiten?
Die aus § 113 c SGB XI perspektivisch resultierenden Konsequenzen stellen aus meiner Sicht die umfangreichsten Veränderungen seit Einführung der Pflegeversicherung in den Jahren 1995/1996 dar. In § 113 c ist der Beginn mit dem 1. Juli 2023 beschrieben. Also muss jetzt nicht hektische Betriebsamkeit beginnen, aber gleichermaßen erfordert der Umgang mit den dort beschriebenen Inhalten und vor allem die langfristigen Konsequenzen, welche sich aus der Umsetzung ergeben wohl überlegte Maßnahmen, die sich zwingend in einem einrichtungsinternen Projektplan wiederfinden sollten.
Letztlich geht es sowohl um quantitative und qualitative Anforderungen (= Qualifikationenmix) als auch um umfangreiche Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen. Die antiquierte Fachkraftquote wird durch den Qualifikationenmix ersetzt.
Aus dem Qualifikationenmix resultieren erhebliche personelle Herausforderungen, aber auch perspektivisch Chancen zum Beispiel für langjährig bewährte und erfahrene Helfer ohne Ausbildung zur beruflichen Weiterentwicklung über die einjährige Ausbildung.
Auf jeden Fall empfehle ich die maximalen Personalanhaltszahlen nach § 113 c SGB XI mit dem aktuellen Mindestpersonalwert auf Landesebene abzugleichen und mit den bestehenden vertraglichen personellen Vereinbarungen der Einrichtung mit den Kostenträgern. Daraus kann in Folge einrichtungsintern ermittelt werden, welcher Mitarbeiterbedarf auf welcher Qualifikationsebene besteht und dieser wiederum mit dem aktuell verfügbaren Mitarbeiterkontingent abgeglichen werden. Im zweiten Schritt lässt sich unter Betrachtung der Spanne zwischen Maximal- und Mindestwert die potenzielle Ebene der Personalschlüssel für die kommenden Pflegesatzverhandlungen ableiten unter realistischer Betrachtung des Arbeitsmarktes (Stichwort: Mehrpersonalisierung) und den daraus folgenden kostenmäßigen Auswirkungen für die Bewohner.
Gleichermaßen kann die Bundesempfehlung nach § 113 c SGB XI wertvolle Hinweis liefern wie sich die Rahmenverträge nach § 75 SGB XI voraussichtlich gestalten werden.
Der von Ihnen angesprochene Soll/Ist-Abgleich der personellen Kontingente dient der groben Vorbereitung. Spätestens zum 1. Juli 2023 braucht es dann insgesamt deutlich mehr Struktur in der Organisation der Arbeitsabläufe und der Art und Weise, wie Aufgaben verteilt werden. Die Vorbehaltsaufgaben gemäß Pflegeberufegesetz sind eng mit dieser Neuordnung verknüpft. Welche Prozesse sollten dringend überprüft werden?
Unbenommen von den Vorbehaltsaufgaben nach § 4 Pflegeberufegesetz sollte generell die Frage „wer macht wann was“ als Arbeitsanalyse im Interesse von Bewohnern und Mitarbeitern jetzt aktuell einer Betrachtung unterzogen werden. Die aktuellen stationären Arbeitsablaufplanungen sind nur begrenzt „Kompetenzorientiert“. Wertvolle Hinweise zu dieser Thematik finden sich auch in der Juli-Ausgabe von „Altenheim“.
Als Beispiel sei die „Stationäre Tourenplanung“ genannt. Manche Kolleginnen und Kollegen erleben diese als das Ende der Individualität, andere wiederum sehen die Gefahr der reinen Funktionspflege und betrachten dies als Rückschritt. Beides muss nicht der Fall sein, wenn schon heute die aus dem Pflegeberufegesetz in Verbindung mit § 113 c SGB XI genannten Anforderungen betrachtet werden und geprüft wird, was sich daraus möglicherweise für interne Strukturen ableiten lassen. Passen die kleinteiligen Wohnbereichsstrukturen, die nicht wenige Einrichtungen haben, überhaupt noch zu den kommenden Konstellationen? Auf allen Wohnbereichen im Wesentlichen in Früh- und Spätdienst die weitergehend identische Besetzung ungeachtet der unterschiedlichen tatsächlichen Bewohnerbedarfe?
Dazu kommen rein quantitative Besetzungsvorgaben aus ordnungsrechtlicher Sicht, welche nicht nur nicht zeitgemäß zu heutigen fachlichen Standards passen, sondern rein nach dem Gießkannenprinzip Fachkräfte unter Bezugnahme auf die Bewohneranzahl verteilen, als hätte jeder Bewohner den gleichen Pflege- und Betreuungsbedarf. Die Hoffnung beruht darauf, dass es im Durchschnitt aller wieder passt: völlig grotesk. Diese Strukturvorgaben werden sich ändern müssen: zumindest müssen sie Pflegegradbezogen werden und nicht wie heute 1 zu XY, ungeachtet des jeweiligen Casemix. Derlei Vorgaben sind fachlicher Stand Ende letzten Jahrhunderts.
Die Fachkraftquote ist 1993/1994 unter völlig veränderten Voraussetzungen entstanden und dient heute eher dem Quotenerfüllungsprinzip für die Behörden, als dass sie tatsächlich einen konkreten Nutzen in Bezug auf die Ergebnisqualität darstellt, was die ursprüngliche Intention war. Jeder Bewerber wird eingestellt, Hauptsache die Quote wird erfüllt.
So haben sich die Bundesländer im Rahmen des KAP Abschlussberichtes verpflichtet:
1.1 Das Personalbemessungsverfahren für Pflegeeinrichtungen nach § 113c SGB XI umsetzen. Hierzu vereinbaren die Partner der Arbeitsgruppe 2 der Konzertierten Aktion Pflege folgende Maßnahmen: (…) Auszugsweise (…)
3. Der Bund und die Länder verpflichten sich, gemeinsam zu beraten, wie bundes- und landesrechtliche Vorgaben für die Personalbemessung zukünftig aufeinander abgestimmt und gegebenenfalls harmonisiert werden können.
Damals war das Instrument der Fachkraftquote das überhaupt einzige mit welcher Qualität gesichert wurde und hatte somit durchaus seine Berechtigung. Diese ist aber im Laufe eines Vierteljahrhunderts in Folge eines völlig veränderten Anforderungsumfeldes mit einer Vielzahl von weiteren Qualitätsvorgaben aus dem Ordnungs- und Leistungsrecht nicht mehr im Ansatz gegeben.
Am 22. September erläutern Sie dieses wichtige Thema auf dem Altenheim Management Kongress. Was dürfen die Teilnehmenden erwarten?
Wir werden auf dem Kongress sowohl über die Frage nach der quantitativen personellen Ausstattung sprechen als auch zu den Konsequenzen für die organisatorischen Strukturen. Was bedeutet diese Thematik für die kommenden Jahre? Die gegenwärtige „Zweiteilung“ von Fachkräften und Pflegehelfern wird sich in neuen Strukturen der „Dreiteilung“ bestehend aus Fachkräften, qualifizierten Helfern und Helfern ohne Ausbildung neu finden müssen. Das führt neben der Frage nach den passenden Arbeitsorganisationsstrukturen auch dazu wie die Veränderung von langjährig antrainierten und praktizierten Denk- und Handlungsweisen im Praxistransfer gelingen kann? Nicht nur für qualifizierte Pflegehelfer und Pflegehelfer ohne spezifische Pflegeausbildung und deren verändertes Aufgabenspektrum, aber auch für Fachkräfte stellt sich in Bezug auf die Vorbehaltsaufgaben die Fragen nach dem „Können“ und/oder der eigenen „Wertigkeit“ in einem neuen System. Langjährig praktizierte Rollenverständnisse der Mitarbeiter werden dadurch in Frage gestellt, was zu Verunsicherung und potenziellem Widerstand gegen Neues führen kann. Das erfordert einerseits Begleitung und andererseits ein Aufzeigen der umfassenden Personalentwicklungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben können.
Umfassende Themen für den Altenheim Management Kongress. Ich freue mich auf spannende Diskussionen und Gespräche.
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