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Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter!

Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter!

- Romy Bierther, Rechtsanwältin

Eine Altenpflegerin offenbarte Pflegemissstände und erhielt eine fristlose Kündigung.

Die Vorgeschichte: Die  Altenpflegerin hatte zwischen Januar 2003 und Oktober 2004 den Arbeitgeber mehrfach darauf hingewiesen, dass das Personal überlastet sei, seinen Pflichten daher nicht nachkommen könne und Pflegeleistungen deshalb nicht korrekt dokumentiert werden könnten. Diese Vorwürfe wurden im Rahmen einer Prüfung durch den MDK im November 2003 bestätigt. Nachdem der Arbeitgeber immer noch nichts unternahm, hat die Arbeitnehmerin eine Strafanzeige gestellt. Die Strafanzeige brachte nur der Mitarbeiterin die die Kündigung ein, die Ermittlungen gegen den Arbeitgeber wurden eingestellt.

Das BAG bestätigte die Kündigung und sah in der Strafanzeige einen «wichtigen Grund» für eine Kündigung. Die Arbeitnehmerin habe die Strafanzeige leichtfertig gestellt und nicht zuvor eine innerbetriebliche Klärung versucht.

Dies sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ganz anders. Die Strafanzeige der Mitarbeiterin sein durch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. In der Altenpflege sei das öffentliche Interesse an der Offenlegung von Missständen wichtiger, als das Interesse des Arbeitgebers am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen (EGMR, Urteil vom 21.07.2011 – 28274/08).
Der EGMR hat der Arbeitnehmerin eine Entschädigung von 10.000 Euro und 5.000 Euro für die entstandenen Kosten zugesprochen, die fristlose Kündigung bleibt aber wirksam.

Was meinen Sie? Was hätte die Mitarbeiterin nachdem sie vielfach versuchte, die Geschäftsleitung auf die Missstände aufmerksam zu machen und der MDK ihre Vorhaltungen bestätigte noch tun können?

Wie würden Sie als Arbeitgeber oder Mitarbeiter reagieren?