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Kritiker stellen Teil-Impfpflicht zunehmend infrage
Die Stimmen aus Politik, Ärzteschaft und Pflege werden zahlreicher, die ein Aussetzen bzw. das Auslaufen der Mitte März eingeführten einrichtungsbezogenen Impfpflicht u.a. für Pflegekräfte fordern. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte unterdessen laut Deutscher Presseagentur (dpa) deutlich, dass im Ministerium derzeit nicht diskutiert werde, die Corona-Impfpflicht für Personal in Kliniken und Pflegeheimen zu beenden.

Schon Anfang Juli hatte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ein vorzeitiges Auslaufen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gefordert. Nun werden immer mehr Stimmen laut, die ebenfalls ein Auslaufen bzw. Aussetzen der so genannten Teil-Impflicht für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegewesen fordern. Jetzt hat auch Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ein Fortführen der Teil-Impfpflicht infrage gestellt: „Wir wissen heute: Die Impfung schließt Ansteckungen nicht aus. Daher bin ich schon der Meinung, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der jetzigen Situation nicht mehr das Nonplusultra ist“, erklärte Laumann am 27. Juli in Düsseldorf. Der Bundesgesetzgeber sollte sie dringend auf den Prüfstand stellen. „Eine Verlängerung halte ich aus heutiger Sicht nicht für sinnvoll“, erläuterte der Landesminister.
Auch nach Ansicht von Oppositionspolitikern auf Bundesebene soll die einrichtungsbezogene Impfpflicht zum Jahresende auslaufen. Der Gesundheitsexperte der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU) sagte der „Welt“, die Bundesregierung könne weder angeben, wie sich die Impfpflicht vor Ort auswirke, noch habe sie Zahlen zur Abwanderung aus dem Pflegeberuf. „Wenn dieser gefährliche Blindflug weitergeht, spricht alles dafür, die einrichtungsbezogene Impfpflicht am Ende des Jahres nicht zu verlängern.“ Sorge forderte, vulnerable Gruppen in den Einrichtungen mit gezielten Impf- und Testkonzepten zu schützen. „Diese dürfen allerdings nicht zu mehr Bürokratie und Belastungen für das Pflegepersonal führen“, mahnte er.
Der Linke-Politiker Ates Gürpinar sagte der „Welt“: Eine Fortführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zur Eindämmung der Pandemie ist sinnlos.“ Zugleich betonte er, dass Impfungen ein wichtiger Baustein für den Kampf gegen Corona seien – neben Hygienevorschriften, Schutzausrüstung, Luftfiltern und Tests.
Vertreter der Regierungsfraktionen reagierten zurückhaltend. Der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann sagte: „Das epidemiologische Geschehen, erhältliche Varianten-Impfstoffe und selbst die aktuelle Variante des Sars-CoV-2 werden wichtige Faktoren in dieser Diskussion sein.“ Die SPD-Gesundheitsexpertin Heike Baehrens sagte laut „Welt“: „Diese Frage werden wir zu gegebener Zeit in der Koalition diskutieren.“ Die Impfung senke das Ansteckungsrisiko und könne schwere Krankheitsverläufe beim Personal verhindern – dies hätten auch Experten im Gesundheitsausschuss berichtet.
Gaß: Impfpflicht aussetzen, nicht abschaffen
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hat seine Forderung nach Aussetzung der Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal verteidigt. Gaß begründete dies im Hörfunksender WDR5 mit veränderten Bedingungen durch das Coronavirus. Bei der Delta-Variante habe die Impfpflicht gut gewirkt, weil Geimpfte weniger häufig das Virus an andere Personen übertragen hätten. „Das hat sich jetzt massiv geändert“, sagte Gaß. Bei der Omikron-Variante könnten auch viele Geimpfte das Virus übertragen. Man müsse daher abwägen zwischen schwerwiegenden Rechtseingriffen gegenüber Beschäftigten und dem Nutzen. Dieser sei mittlerweile nicht mehr gegeben. Gaß führte auch die Kontrolle der Impfpflicht als Argument ins Feld.
Sie sei „nur sehr partiell durchgesetzt worden“. Ungerechtigkeiten innerhalb Deutschlands seien nur schwer zu ertragen. Viele Arbeitgeber hätten auch signalisiert, dass sie auf nicht geimpfte Mitarbeiter nicht verzichten können. Der Chef der Krankenhausgesellschaft machte deutlich, dass es ihm nicht um die Abschaffung, sondern um die Aussetzung der Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal geht.
Verbände verweisen auf Notwendigkeit einer allgemeinen Impfpflicht
Der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen plädiert dafür, das Fortbestehen der einrichtungsbezogenen Corona-Impfpflicht an die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zu koppeln. „Entweder man schafft die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab oder man ordnet eine allgemeine Impfpflicht an“, sagt der Vorsitzende Alexander Schraml dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Donnerstag). Er kritisierte, dass die verpflichtende Immunisierung lediglich für medizinische Berufe bestehe: „Das war und ist ein Skandal.“ Dass ab Oktober nur noch Menschen als vollständig geimpft gelten, die eine Booster-Impfung erhalten haben, betrachtet Schraml als Verschärfung der Regel. „Damit besteht die Gefahr, dass uns weitere Beschäftigte verloren gehen beziehungsweise Auszubildende im Herbst nicht übernommen werden können.“
Ähnlich argumentiert der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dinste (bpa). „Mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht allein ist der Schutz der älteren und vulnerablen Personen nicht zu gewährleisten, solange Angehörige und Besucher nach wie vor ungeimpft in die Einrichtungen kommen dürfen und damit das Virus immer wieder auch in die Einrichtungen tragen“, sagte bpa-Präsident Bernd Meurer.
Länder zögern, Betätigungs- und Betretungsverbote auszusprechen
Zweifel an der Impfpflicht werden auch durch den Umstand befeuert, dass die zuständigen Behörden die Nicht-Einhaltung der Pflicht bislang offenbar kaum sanktionieren. So haben die Gesundheitsämter in Baden-Württemberg mehr als vier Monate nach Beginn der Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Seniorenheimen und Kliniken noch kein einziges Betätigungs- oder Betretungsverbot verhängt. Das Sozialministerium in Stuttgart bestätigte auf Anfrage entsprechende Informationen der Tageszeitungen «Stuttgarter Zeitung» und «Stuttgarter Nachrichten».
Das Ministerium hatte im Juni berichtet, es seien erste Bußgelder erhoben worden. Es waren den damaligen Angaben zufolge mehr als 450 Bußgeldverfahren anhängig gegen Pflegerinnen und Pfleger, die trotz der Pflicht keinen Impfnachweis vorlegen konnten. „Wir stehen mit den Ämtern natürlich im regelmäßigen Austausch und diese haben uns mitgeteilt, dass sie derzeit noch in der Phase der Anhörung und Prüfung des einzelfallbezogenen Verwaltungsverfahrens sind“, teilte ein Sprecher des Sozialministeriums nun mit.
Ein vergleichbares Bild zeigt sich in Hessen: Auch hier haben die Behörden bislang keine Beschäftigungs- oder Betretungsverbote verhängt. Das teilte das Sozialministerium in Wiesbaden mit. „Betretungsverbote könnten bisher lediglich durch die Einrichtungen selbst in Ausübung ihres Hausrechts ausgesprochen worden sein.“ Dazu liegen dem Ministerium einer Sprecherin zufolge aber keine Daten vor.
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