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Herstellung von Medizinprodukten und PSA durch branchenfremde Unternehmen

Medizinische Hilfsprodukte sind derzeit Mangelware. Branchenfremde Unternehmen springen ein und stellen ihre Produktion um. Doch welche Regelungen haben Sie dabei zu beachten?

Daria Madejska
- Daria Madejska, Management Consulting, Ebner Stolz

Die COVID-19 Krise führt zu einem maxi­mal erhöh­ten Ver­sor­gungs­be­darf an medi­zi­ni­scher Aus­stat­tung, ins­be­son­dere an Atem­schutz­mas­ken, Hand­schu­hen, Schutz­k­lei­dung, OP-Tüchern, OP-Mas­ken etc. Die beg­renz­ten Pro­duk­ti­ons­mög­lich­kei­ten der regu­lä­ren Medi­zin­pro­dukte­her­s­tel­ler und Her­s­tel­ler für per­sön­li­che Schutz­aus­rüs­tung (PSA) haben daher dazu geführt, dass u.a. Her­stel­lungs­be­triebe in der Tex­til­bran­che ihre Pro­duk­tion von Klei­dungs­stü­cken auf Mund­schutz und andere Schutz­k­lei­dung umge­s­tellt haben. 

Diese bran­chen­f­rem­den Tätig­kei­ten sind nicht nur löb­lich, son­dern drin­gend erfor­der­lich, da ins­be­son­dere Kran­ken­häu­ser und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen unter einer kon­stan­ten Knapp­heit von Medi­zin­pro­duk­ten und PSA lei­den. Wel­che Anfor­de­run­gen an die Her­stel­lung und Inver­kehr­brin­gung von "fach­f­remd" her­ge­s­tell­ten Medi­zin­pro­duk­ten und PSA wäh­rend der COVID-19 Krise zu stel­len sind, ist aller­dings noch nicht end­gül­tig geklärt.

Grund­sätz­li­che Wei­ter­gel­tung des Medi­zin­pro­dukt­rechts und Rege­lun­gen für PSA

Die für die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung erfor­der­li­che Aus­stat­tung ist regu­la­to­risch den Medi­zin­pro­duk­ten (z. B. OP-Mas­ken, -Hand­schuhe, -Tücher) und der sog. per­sön­li­chen Schutz­aus­rüs­tung ((PSA) z.B. Atem­schutz­mas­ken) zuzu­ord­nen.  Für die Her­stel­lung und Inver­kehr­brin­gung von Medi­zin­pro­duk­ten und PSA gel­ten grund­sätz­lich sowohl euro­päi­sche als auch natio­nale Vor­ga­ben.

Nach der euro­päi­schen Medi­zin­pro­dukte-Richt­li­nie (MP-RL) und dem Medi­zin­pro­duk­te­ge­setz (MPG) bzw. der ab dem 26.5.2020 ver­bind­lich gel­ten­den Medi­zin­pro­dukte-Ver­ord­nung (MP-VO) sowie nach der EU-Ver­ord­nung für PSA (PSA-VO) ist vor Markt­ein­tritt ein Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­ren durch­zu­füh­ren und eine CE-Kenn­zeich­nung anzu­brin­gen. Um Kon­for­mi­tät nach­zu­wei­sen, sind auf EU-Ebene har­mo­ni­sierte Nor­men (tech­ni­sche Stan­dards) ver­füg­bar. Je nach Risi­ko­klasse des betref­fen­den Pro­duk­tes, muss auch eine sog. Benannte Stelle in die Kon­for­mi­täts­be­wer­tung ein­ge­bun­den wer­den. Dies führt, ins­be­son­dere vor dem Hin­ter­grund der unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den ver­bind­li­chen Gel­tung der MP-VO und der dadurch beste­hen­den Belas­tung der Benann­ten Stel­len, zu teils lang­wie­ri­gen Ver­fah­ren. Hier­für bleibt keine Zeit. Die Rege­lun­gen zur Kon­for­mi­täts­be­wer­tung wer­den daher nun teils ver­ein­facht und gelo­ckert.

Die EU, das Bun­des­mi­nis­te­rium für Gesund­heit (BMG) und das Bun­des­mi­nis­te­rium für Arbeit und Sozia­les (BMAS) haben aber bis­her keine rechts­ver­bind­li­chen Aus­sa­gen zur Aus­set­zung des euro­päi­schen Medi­zin­pro­duk­te­rechts und der Rege­lun­gen für PSA getrof­fen, son­dern ledig­lich Emp­feh­lun­gen zur Behand­lung von Medi­zin­pro­duk­ten und PSA ohne bzw. mit unzu­läs­si­ger CE-Kenn­zeich­nung gemacht.

Unver­bind­li­che Emp­feh­lung der EU vom 13.3.2020

Hin­sicht­lich des Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­rens für PSA emp­fiehlt die EU-Kom­mis­sion u. a., dass die Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­s­tel­len neu ein­ge­reichte Anträge vor­ran­gig behan­deln und zügig durch­füh­ren sol­len. Wenn PSA-Pro­dukte nicht nach den Nor­men der euro­päi­schen PSA-VO her­ge­s­tellt wor­den sind, kön­nen sich die noti­fi­zier­ten Stel­len bei der Zulas­sung zudem an den tech­ni­schen Lösun­gen der WHO ori­en­tie­ren. Fin­det eine Zulas­sung von PSA durch die Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­s­tel­len nicht nach den EU-weit-har­mo­ni­sier­ten Regeln statt, haben die noti­fi­zier­ten Stel­len dies ent­sp­re­chend den natio­na­len Behör­den anzu­zei­gen.

In Bezug auf das Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­ren für Medi­zin­pro­dukte emp­fiehlt die EU-Kom­mis­sion den Mit­g­lied­staa­ten nach Art. 11 Abs. 13 MP-RL bzw. Art. 59 der MP-VO Aus­nah­men von den Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­ren zu geneh­mi­gen, auch wenn die Betei­li­gung einer Benann­ten Stelle nicht erfor­der­lich ist. Eine ent­sp­re­chen­des Aus­nah­me­ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren führt in Deut­sch­land zur­zeit das Bun­des­in­sti­tut für Arzn­ei­mit­tel und Medi­zin­pro­dukte (BfArM) durch.

Bei der Kon­trolle der Medi­zin­pro­dukte und PSA sol­len sich die Markt­über­wa­chungs­be­hör­den in den Mit­g­lied­staa­ten vor­ran­gig auf nicht­kon­forme PSA oder Medi­zin­pro­dukte kon­zen­trie­ren, von denen eine schwer­wie­gende Gefahr für die Gesund­heit und Sicher­heit des Benut­zers aus­geht. Stel­len sie fest, dass das Kon­for­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­ren und damit die CE-Kenn­zeich­nung nicht voll­stän­dig EU-rechts­kon­form erfolgt ist, die PSA oder Medi­zin­pro­dukte jedoch im Grunde den euro­pa­recht­li­chen Rege­lun­gen ent­sp­re­chen, kön­nen sie die Bereit­stel­lung die­ser Pro­dukte auf dem Uni­ons­markt für einen beg­renz­ten Zei­traum geneh­mi­gen. Hier­über sind eben­falls die EU-Kom­mis­sion und andere Mit­g­lied­staa­ten zu unter­rich­ten.

PSA oder Medi­zin­pro­dukte ohne CE-Kenn­zeich­nung kön­nen zwar in einen von den natio­na­len Behör­den orga­ni­sier­ten Beschaf­fungs­vor­gang ein­be­zo­gen wer­den. In die­sem Fäl­len ist jedoch sicher­zu­s­tel­len, dass diese Pro­dukte nur medi­zi­ni­schen Fach­kräf­ten und nur für die Dauer der der­zei­ti­gen Gesund­heits­be­dro­hung zur Ver­fü­gung ste­hen und nicht zu ande­ren Ver­wen­dern gelan­gen.

Unver­bind­li­che Emp­feh­lung des BMG und des BMAS vom 13.3.2020

Eben­falls am 13.3.2020 haben das BMG und das BMAS für ein­ge­führte PSA ohne CE-Kenn­zeich­nung die Emp­feh­lung abge­ge­ben, dass diese als in Deut­sch­land ver­kehrs­fähig anzu­se­hen sind, wenn diese in den USA, Kanada, Aus­tra­lien und Japan als ver­kehrs­fähig anzu­se­hen wären. Dies betrifft fol­gende PSA:

  • Schutz­bril­len
  • Voll­ge­sichts­mas­ken
  • FFP2 und FFP3 (Atem­schutz­mas­ken)
  • OP-Mas­ken
  • Schutz­kit­tel
  • Ganz­kör­per­schutz­an­zug
  • Ein­mal­hand­schuhe
  • Pro­be­ent­nah­me­ma­te­ria­lien
  • Des­in­fek­ti­ons­mit­tel.

Stam­men die ein­ge­führ­ten PSA nicht aus den genann­ten Län­dern, sol­len nach der Emp­feh­lung des BMG und des BMAS die noti­fi­zier­ten Stel­len bzw. das BfArM eine ent­sp­re­chende Über­prü­fung vor­neh­men.

Kos­ten­lo­ser Zugriff auf DIN und EN

Als Hil­fe­stel­lung bei der Pro­duk­tion von Medi­zin­pro­duk­ten und PSA kön­nen bran­chen­f­remde Her­s­tel­ler auf­grund von Beschlüs­sen der EU-Kom­mis­sion nun­mehr kos­ten­los auf eine Reihe von euro­päi­schen Nor­men zug­rei­fen, um bei Bekämp­fung der COVID-19-Pan­de­mie umfang­reich und effek­tiv zu hel­fen. Die ent­sp­re­chen­den Nor­men fin­den Sie unter fol­gen­dem Link.

Hin­weis: Rechts­ver­bind­li­che Ver­ord­nun­gen des BMG drin­gend erfor­der­lich

Auch wenn es jetzt zahl­rei­che Erleich­te­run­gen für Her­s­tel­ler von Medi­zin­pro­duk­ten und PSA gibt, ist zu beach­ten, dass auch diese die oben genann­ten, ver­ein­fach­ten Zulas­sungs­wege ein­hal­ten müs­sen.

Da es sich teils ledig­lich um unver­bind­li­che Emp­feh­lun­gen han­delt, sind wei­tere Rechts­akte der zustän­di­gen Gre­mien erfor­der­lich, um ins­be­son­dere die Haf­tungs- und Straf­vor­schrif­ten des Medi­zin­pro­duk­te­rechts und der Rege­lun­gen für PSA für das Inver­kehr­brin­gen ohne oder unzu­läs­sige CE-Kenn­zeich­nung aus­zu­set­zen. Soweit natio­na­les Recht betrof­fen ist, kann das BMG auf­grund des neu ein­ge­füg­ten § 5 Abs. 2 Nr. 4 lit. a) IfSG eine rechts­ver­bind­li­che Ver­ord­nung hierzu erlas­sen. 

Ebenso sollte eine abge­stimmte Vor­ge­hens­weise für die natio­na­len Markt­über­wa­chungs­be­hör­den, also in der Regel die Regie­rungs­prä­si­dien in den Bun­des­län­dern oder Lan­des­mi­nis­te­rien, erlas­sen wer­den.

Dane­ben besteht auch auf euro­päi­scher Ebene noch Hand­lungs­be­darf: die MP-VO wird am 26.5.2020 ver­bind­li­che Gel­tung in den Mit­g­lied­staa­ten erlan­gen. Um (vor dem Hin­ter­grund der hier­durch viel­fach erfor­der­li­chen Neu­zer­ti­fi­zie­rung) wei­tere Lie­fer­eng­pässe und Unter­b­re­chun­gen bei der Ver­sor­gung mit medi­zi­ni­schen Gerä­ten zu ver­mei­den, will die Kom­mis­sion Rat und Par­la­ment Anfang April einen Vor­schlag vor­le­gen, der ein Mora­to­rium von einem Jahr vor­sieht.