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Herstellung von Medizinprodukten und PSA durch branchenfremde Unternehmen
Medizinische Hilfsprodukte sind derzeit Mangelware. Branchenfremde Unternehmen springen ein und stellen ihre Produktion um. Doch welche Regelungen haben Sie dabei zu beachten?

Die COVID-19 Krise führt zu einem maximal erhöhten Versorgungsbedarf an medizinischer Ausstattung, insbesondere an Atemschutzmasken, Handschuhen, Schutzkleidung, OP-Tüchern, OP-Masken etc. Die begrenzten Produktionsmöglichkeiten der regulären Medizinproduktehersteller und Hersteller für persönliche Schutzausrüstung (PSA) haben daher dazu geführt, dass u.a. Herstellungsbetriebe in der Textilbranche ihre Produktion von Kleidungsstücken auf Mundschutz und andere Schutzkleidung umgestellt haben.
Diese branchenfremden Tätigkeiten sind nicht nur löblich, sondern dringend erforderlich, da insbesondere Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen unter einer konstanten Knappheit von Medizinprodukten und PSA leiden. Welche Anforderungen an die Herstellung und Inverkehrbringung von "fachfremd" hergestellten Medizinprodukten und PSA während der COVID-19 Krise zu stellen sind, ist allerdings noch nicht endgültig geklärt.
Grundsätzliche Weitergeltung des Medizinproduktrechts und Regelungen für PSA
Die für die medizinische Versorgung erforderliche Ausstattung ist regulatorisch den Medizinprodukten (z. B. OP-Masken, -Handschuhe, -Tücher) und der sog. persönlichen Schutzausrüstung ((PSA) z.B. Atemschutzmasken) zuzuordnen. Für die Herstellung und Inverkehrbringung von Medizinprodukten und PSA gelten grundsätzlich sowohl europäische als auch nationale Vorgaben.
Nach der europäischen Medizinprodukte-Richtlinie (MP-RL) und dem Medizinproduktegesetz (MPG) bzw. der ab dem 26.5.2020 verbindlich geltenden Medizinprodukte-Verordnung (MP-VO) sowie nach der EU-Verordnung für PSA (PSA-VO) ist vor Markteintritt ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen und eine CE-Kennzeichnung anzubringen. Um Konformität nachzuweisen, sind auf EU-Ebene harmonisierte Normen (technische Standards) verfügbar. Je nach Risikoklasse des betreffenden Produktes, muss auch eine sog. Benannte Stelle in die Konformitätsbewertung eingebunden werden. Dies führt, insbesondere vor dem Hintergrund der unmittelbar bevorstehenden verbindlichen Geltung der MP-VO und der dadurch bestehenden Belastung der Benannten Stellen, zu teils langwierigen Verfahren. Hierfür bleibt keine Zeit. Die Regelungen zur Konformitätsbewertung werden daher nun teils vereinfacht und gelockert.
Die EU, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) haben aber bisher keine rechtsverbindlichen Aussagen zur Aussetzung des europäischen Medizinprodukterechts und der Regelungen für PSA getroffen, sondern lediglich Empfehlungen zur Behandlung von Medizinprodukten und PSA ohne bzw. mit unzulässiger CE-Kennzeichnung gemacht.
Unverbindliche Empfehlung der EU vom 13.3.2020
Hinsichtlich des Konformitätsbewertungsverfahrens für PSA empfiehlt die EU-Kommission u. a., dass die Konformitätsbewertungsstellen neu eingereichte Anträge vorrangig behandeln und zügig durchführen sollen. Wenn PSA-Produkte nicht nach den Normen der europäischen PSA-VO hergestellt worden sind, können sich die notifizierten Stellen bei der Zulassung zudem an den technischen Lösungen der WHO orientieren. Findet eine Zulassung von PSA durch die Konformitätsbewertungsstellen nicht nach den EU-weit-harmonisierten Regeln statt, haben die notifizierten Stellen dies entsprechend den nationalen Behörden anzuzeigen.
In Bezug auf das Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte empfiehlt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 13 MP-RL bzw. Art. 59 der MP-VO Ausnahmen von den Konformitätsbewertungsverfahren zu genehmigen, auch wenn die Beteiligung einer Benannten Stelle nicht erforderlich ist. Eine entsprechendes Ausnahmegenehmigungsverfahren führt in Deutschland zurzeit das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durch.
Bei der Kontrolle der Medizinprodukte und PSA sollen sich die Marktüberwachungsbehörden in den Mitgliedstaaten vorrangig auf nichtkonforme PSA oder Medizinprodukte konzentrieren, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Benutzers ausgeht. Stellen sie fest, dass das Konformitätsbewertungsverfahren und damit die CE-Kennzeichnung nicht vollständig EU-rechtskonform erfolgt ist, die PSA oder Medizinprodukte jedoch im Grunde den europarechtlichen Regelungen entsprechen, können sie die Bereitstellung dieser Produkte auf dem Unionsmarkt für einen begrenzten Zeitraum genehmigen. Hierüber sind ebenfalls die EU-Kommission und andere Mitgliedstaaten zu unterrichten.
PSA oder Medizinprodukte ohne CE-Kennzeichnung können zwar in einen von den nationalen Behörden organisierten Beschaffungsvorgang einbezogen werden. In diesem Fällen ist jedoch sicherzustellen, dass diese Produkte nur medizinischen Fachkräften und nur für die Dauer der derzeitigen Gesundheitsbedrohung zur Verfügung stehen und nicht zu anderen Verwendern gelangen.
Unverbindliche Empfehlung des BMG und des BMAS vom 13.3.2020
Ebenfalls am 13.3.2020 haben das BMG und das BMAS für eingeführte PSA ohne CE-Kennzeichnung die Empfehlung abgegeben, dass diese als in Deutschland verkehrsfähig anzusehen sind, wenn diese in den USA, Kanada, Australien und Japan als verkehrsfähig anzusehen wären. Dies betrifft folgende PSA:
- Schutzbrillen
- Vollgesichtsmasken
- FFP2 und FFP3 (Atemschutzmasken)
- OP-Masken
- Schutzkittel
- Ganzkörperschutzanzug
- Einmalhandschuhe
- Probeentnahmematerialien
- Desinfektionsmittel.
Stammen die eingeführten PSA nicht aus den genannten Ländern, sollen nach der Empfehlung des BMG und des BMAS die notifizierten Stellen bzw. das BfArM eine entsprechende Überprüfung vornehmen.
Kostenloser Zugriff auf DIN und EN
Als Hilfestellung bei der Produktion von Medizinprodukten und PSA können branchenfremde Hersteller aufgrund von Beschlüssen der EU-Kommission nunmehr kostenlos auf eine Reihe von europäischen Normen zugreifen, um bei Bekämpfung der COVID-19-Pandemie umfangreich und effektiv zu helfen. Die entsprechenden Normen finden Sie unter folgendem Link.
Hinweis: Rechtsverbindliche Verordnungen des BMG dringend erforderlich
Auch wenn es jetzt zahlreiche Erleichterungen für Hersteller von Medizinprodukten und PSA gibt, ist zu beachten, dass auch diese die oben genannten, vereinfachten Zulassungswege einhalten müssen.
Da es sich teils lediglich um unverbindliche Empfehlungen handelt, sind weitere Rechtsakte der zuständigen Gremien erforderlich, um insbesondere die Haftungs- und Strafvorschriften des Medizinprodukterechts und der Regelungen für PSA für das Inverkehrbringen ohne oder unzulässige CE-Kennzeichnung auszusetzen. Soweit nationales Recht betroffen ist, kann das BMG aufgrund des neu eingefügten § 5 Abs. 2 Nr. 4 lit. a) IfSG eine rechtsverbindliche Verordnung hierzu erlassen.
Ebenso sollte eine abgestimmte Vorgehensweise für die nationalen Marktüberwachungsbehörden, also in der Regel die Regierungspräsidien in den Bundesländern oder Landesministerien, erlassen werden.
Daneben besteht auch auf europäischer Ebene noch Handlungsbedarf: die MP-VO wird am 26.5.2020 verbindliche Geltung in den Mitgliedstaaten erlangen. Um (vor dem Hintergrund der hierdurch vielfach erforderlichen Neuzertifizierung) weitere Lieferengpässe und Unterbrechungen bei der Versorgung mit medizinischen Geräten zu vermeiden, will die Kommission Rat und Parlament Anfang April einen Vorschlag vorlegen, der ein Moratorium von einem Jahr vorsieht.
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