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Haftungsproblematik bei Weglauftendenz
Haftungsproblematik bei Weglauftendenz

Die Entscheidungen des SG Freiburg zu nächtlichen Fixierungen und das etwas "ältere" Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts vom 23.03.2011 – 2 U 567/10 zeigen, dass die Überwachungspflichten der Heimträger verstärkt in den Fokus der Rechtsprechung geraten.
Grundlegend kann zur Klärung eines Haftungsansatzes auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 28.04.2005 – III ZR 399/04 zurückgegriffen werden. Der BGH hatte in dieser Entscheidung betont, dass eine Einrichtung nicht zu einer Rund-um-die-Uhr-Überwachung verpflichtet sei. Vielmehr schulde die Einrichtung nur alle vernünftigen und auch finanziell zumutbaren Personal- und Sicherungsvorkehrungen, die zugleich die Würde des Bewohners beachten. Das OLG Thüringen fordert vom Träger einer offenen Einrichtung – auf Grundlage des damalig anzuwendenden Bundesheimgesetzes und somit ohne Berücksichtigung der neuen Kündigungsregelungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) – hingegen den Hinweis, dass keine absolute Sicherheit bei Bestehen einer Weglauftendenz gewährleistet werden kann, verbunden mit der Aufforderung an den Betreuer, den Bewohner in eine andere Einrichtung zu geben. Bleibt die Einrichtung untätig, erweckt sie den Eindruck, die notwendige Sicherheit leisten zu können und ist verpflichtet sicherzustellen, dass ein unbeaufsichtigtes Verlassen nicht geschehen kann. Auch das Sozialgericht Freiburg sah in einer Eilentscheidung eine nächtliche Einzelbetreuung als von der Einrichtung geschuldet – wenn auch vom Sozialhilfeträger gesondert zu bezahlen. Beide Entscheidungen gehen daher im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon aus, dass ein Einrichtungsträger bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall zu einer Rund-um-die-Uhr Überwachung verpflichtet sein kann.
Diese Entwicklung der Rechtsprechung kann offene Einrichtungen ohne beschützten Bereich vor immense Problemen stellen. Eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung scheitert an den finanziellen und personellen Möglichkeiten der Einrichtung. Soweit ein weglaufgefährdeter Bewohner sich aus einer offenen Einrichtung entfernt und zu Schaden kommt, sind haftungsrechtliche Streitigkeiten vorprogrammiert. Eine Lösung ist auf jeden Fall die Vereinbarung entsprechender Ausschlusskriterien der Leistungsversorgung bei Abschluss des Heimvertrages nach § 8 Abs. 4 WBVG. Eine offene Einrichtung ist berechtigt, eine Leistungsanpassung für den Fall auszuschließen, dass ein Bewohner eine besondere Weglauftendenz entwickeln sollte, und das unbeaufsichtigte Verlassen der Einrichtung nicht ausgeschlossen werden kann. Tritt diese Weglauftendenz auf, kann der Heimplatz gekündigt werden. Unterzeichnet der Betreuer eine entsprechende Klausel, zeigt er sich mit dieser Leistungseinschränkung einverstanden und gerät selbst in die Verantwortung, soweit er auf einen entsprechenden Hinweis und die Kündigung des Vertrages nicht reagiert. Ferner sollte der Betreuer auch auf das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung für freiheitsentziehende Maßnahmen hingewiesen werden. Bei Einrichtungen mit geringerer Belegungszahl ist dieses Ergebnis allerdings nicht unbedingt gewünscht, da die Einrichtung einen Bewohner verliert, die haftungsrechtlichen Konsequenzen im Schadensfalle können aber beachtlich und teuer sein.
Welche anderen Möglichkeiten hat aber eine offene Einrichtung? Das Landgericht Hanau beschäftigt sich aktuell mit der Frage, ob der Einsatz eines Elektronikchips im Schuh, der bei Verlassen der Einrichtung einen besonderen Alarm auslöst sowie eine Sensormatte an der Zimmertür, die nachts das unbemerkte Verlassen des Zimmers ausschließt, ausreichende Sicherungsvorkehrungen einer offenen Einrichtung darstellen. Das Landgericht Hanau ging in der mündlichen Verhandlung hiervon aus, das Urteil ist jedoch noch nicht verkündet. Wie sehen Sie die Problematik? Diskutieren Sie mit, ob und welche Sicherungsmaßnahmen in einer offenen Einrichtung gefordert werden können und Mindeststandard sein sollten.
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