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COVID-19 – Abmilderungsgesetz: Auch nicht unwichtig für die Pflegebranche!
Im Zusammenhang mit der COVID-19 – Pandemie sind die Augen der Pflegewirtschaft primär auf das “COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (COVID-19-KHEntlG)” und auf die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gerichtet. Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat ein weiteres, mindestens genauso bedeutendes Gesetz passieren lassen, das “Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-und Strafverfahrensrecht” (COVID-19 – AbmilderungsG). Es handelt sich um ein sog. Artikelgesetz, das für wesentliche Rechtsbereiche “branchenübergreifend” Änderungen der bestehenden mit dem Ziel – hier interessierend: – Regelungen im Zivil- und Insolvenzrecht zu treffen, die wirtschaftliche Auswirkungen der Pandemie vor dem Hintergrund der bisher geltenden Rechtslage mildern sollen.

A. KERNPUNKTE IM ÜBERBLICK
1. Änderungen des Mietrechts (Art. 5 COVID-19 – AbmilderungsG)
In dem hierdurch eingeführten § 2 des Art. 240 EGBGB – nicht in den mietrechtlichen Regelungen des BGB selbst! – wird eine "Sonderregelung des Kündigungsschutzrechts" vorgenommen, indem eine Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen angeordnet wird:
"(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.
(2)Von Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.
(3)Die Absätze 1 und 2 sind auf Pachtverhältnisse entsprechend anzuwenden."
Die Regelung ist dabei gem. § 2 Abs. (4) – zunächst – nur bis zum 30. Juni 2022 anzuwenden.
Für die Pflegewirtschaft ist die Vorschrift angesichts z. B. der Untersagung des Betriebs von Tagespflegeeinrichtungen, höheren Kosten für Hilfsmittelbeschaffungen u.ä. von Bedeutung. Es wäre aber töricht, jetzt "einfach so" Mietzahlungen einzustellen: Die Mietzahlungspflicht wird von der Regelung nicht berührt: Pacta sunt servanda – ein Leistungsverweigerungsrecht besteht nicht! Die gesetzliche Regelung greift, wenn die Miete aufgrund der Auswirkungen der COVID-19 – Pandemie nicht gezahlt werden kann und Rückstände entstehen, die den Vermieter zur Kündigung berechtigen würden. Die Verbindung zwischen beidem ist glaubhaft zu machen – sicherheitshalber bei Einstellung der Zahlung, spätestens dann jedoch, wenn der Vermieter kündigt und im Prozess vorträgt, dass die Nichtleistung nicht auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Ob und inwieweit dann die Kündigung berechtigt ist oder nicht, ist Tatfrage und nicht einfach zu klären. Letzteres gilt insbesondere in der Zusammenschau mit den Hilferegelungen für die Pflegewirtschaft in dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz und anderen Vereinbarungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern, z. B. in Bezug auf Weitergewährung von Investitionskosten für Tagespflegen, Aufstockung von Erstattungen, Übernahmen von Mehrkosten etc.pp., die die Pflegeunternehmen wirtschaftlich stärken. Vor dem Hintergrund, dass den Mieter im Falle einer unberechtigten Einstellung der Mietzahlungen das Verzugskostenrisiko trifft, ist bei Maßnahmen besondere Sorgfalt anzulegen. Völlig offen ist die Frage, inwieweit bzw. zu welchem Grad und Umfang der Mieter finanzielle Mittel mobilisieren muss, bevor er sich unter den "Schutzschirm" des Kündigungsverbots flüchten kann ("Missbrauch"). Hervorzuheben ist, dass die Kündigung des Vermieters aus anderen Gründen (z.B. wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens des Mieters gegenüber dem Vermieter oder wegen Eigenbedarfs) weiterhin möglich bleibt. Entsprechendes gilt für die allgemeinen Kündigungsrechte des Mieters; sie erfahren keine Modifizierung. Sonderkündigungsrechte des Mieters angesichts des COVID-19 – Pandemie wurden nicht geregelt. Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage als Kündigungsgrund etwa bei Betriebsschließungen (z.B. Tagespflege) ist nach den engen Voraussetzungen, die die Rechtsprechung entwickelt hat, die Ausnahme denn die Regel. Entsprechendes gilt vice versa für Mieter des Sozialunternehmens, z. B. im Bereich des Betreuten Wohnens. Dies ist problematisch in dem Fall, dass die Immobilie finanziert ist (dazu sogleich).
2. Darlehnsrecht (Art. 5 COVID-19 – AbmilderungsG)
Ist das Pflegeunternehmen Schuldner eines Kreditvertrages, so hilft ihm das COVID-19 – AbmilderungsG kaum: Die dort getroffene Regelung des § 3 des Art. 240 EGBGB, in dem eine Stundung von Darlehenszahlungen vorgesehen wird, betrifft – unverständlicherweise – nur Verbraucherkreditverträge. Allerdings sieht § 3 Abs. 8 des Art. 240 EGBGB vor, dass durch Rechtsverordnung der Kreis der begünstigten Personen / Unternehmen erweitert werden kann. Die gegenwärtige Regelung führt dazu, dass nach Obigem Mietausfälle drohen können, aber diese – im Falle von finanzierten Immobilien – wohl nicht durch kongruente Einstellung von Darlehenszahlungen kompensiert werden können, sofern nicht besondere Umstände aufgrund der allgemeinen Rechtslage greifen.
3. "Moratorium" (Art. 5 COVID-19 – AbmilderungsG)
Hilfe kann das COVID-19 – AbmilderungsG u. U. allenfalls bei Kleinstunternehmen durch den § 1 Abs. 1 des Art. 240 EGBGB bieten, da das dort geregelte "Moratorium" ein Leistungsverweigerungsrecht für "wesentliche Schuldverhältnisse" vorsieht. Hiernach steht Verbrauchern und Kleinstunternehmen (Unternehmen bis zu 9 Beschäftigten und bis 2 Mio€ Jahresumsatz) – zunächst – bis zum 30.06.2020 ein Leistungsverweigerungsrecht in Bezug auf Verpflichtungen aus sog. "wesentlichen Dauerschuldverhältnissen" mit Ausnahme von Miet-, Pacht-, Darlehns- und Arbeitsverträgen zu. Solche wesentlichen Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 08.03.2020 geschlossen sein müssen, sind solche, die zur "Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind". Allerdings besteht das Leistungsverweigerungsrecht nur dann, wenn in Folge der COVID-19 – Pandemie die geschuldete Leistung nicht erbracht werden kann oder die Leistung für das Unternehmen eine Gefährdung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bedeuten würde bzw. den leistungsverweigernden Verbraucher eine Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts bedeuten würde. Es besteht nicht, wenn entweder für den dem Verbraucher leistenden Gewerbetreibenden oder für den (gewerblichen) Gläubiger die Auswirkungen der Ausübung dieses Leistungsverweigerungsrechts unzumutbar wäre. Für das Sozialunternehmen als Leistungserbringer gewinnt die Regelung Relevanz bei der Frage, ob es Leistungen im Bereich dieser "wesentlichen Dauerschuldverhältnisse" erbringt, die für Verbraucher "zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind". Die Gesetzesbegründung erwähnt Leistungen der "Grundversorgung" und führt explizit Medienlieferungsverträge auf. Adressiert sind aber sicherlich auch ambulante Pflegeverträge, Heimverträge, möglicherweise auch Betreuungsverträge im Bereich des Betreuten Wohnens. Hier ist vieles noch offen. Jedenfalls sollte man sich auf derartige Petita von Bewohnern / Mietern einstellen und an soziale Transferleistungen für diese denken.
4. Änderungen des Insolvenzrechts (Art. 1 COVID-19 – AbmilderungsG)
Trotz der weitegehenden "Durchfinanzierung" der Pflegebranche durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz sind auch in diesem Bereich Insolvenzrisiken, besser: das Entstehen von Insolvenzlagen nicht von der Hand zu weisen. Hier greift Art. 1 COVID-19 – AbmilderungsG mit dem "COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG)" und seinen Regelungen zu Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in § 1 COVInsAG bis zum 30.09.2020, wenn die Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht, sofern Aussichten darauf bestehen, dass eine bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden kann. Ersteres wird vermutet, wenn Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war. Die Folge ist gem. § 2 COVInsAG, dass bestimmte insolvenzrechtlich inkriminierte, haftungsauslösende und auch strafbare Handlungen "legitimiert" werden. Das Thema soll hier nur der Vollständigkeit halber "angetippt" werden.
B. RESUMÉ
Die Regelungen des COVID-19 – AbmilderungsG sind von den Sozial- und Pflegeunternehmen genauso in den Blick zu nehmen wie die des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes. Es handelt sich nicht um ein "Branchenschutzgesetz", sondern es beinhaltet generelle, branchenneutrale Regelungen. Viele Fragen sind – naturgemäß – offen und werden daher erst in den nächsten Wochen und Monaten Klärung und Konkretisierung erfahren. Insbesondere die Regelungen zum "Moratorium" und zum Mietrecht sind auch für die Pflegebranche wegen ihrer generellen Geltung relevant und ihre weitere Konkretisierung und Auslegung aufmerksam zu beobachten. Im Falle eines Falles ist die Einschaltung der betreffenden Berater gefragt. Im Verhältnis zu den Geschäftspartnern ist in diesen Tagen jedenfalls nicht Schweigen, sondern Reden Gold!
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