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BSG: Kritik an Pflegenoten begründet – aber kein Rechtsschutz gegen Fortsetzung der Notengebung
Mit Spannung wurde das Urteil des BSG zu den Pflegenoten erwartet. Die fachliche Kritik an der Notengebung reißt nicht ab. Sie reicht von einer generellen Ablehnung von Noten für die Pflege bis zur methodischen Kritik an den Stichproben, auf denen die Noten berechnet werden.

Die vermeintliche Eindeutigkeit der Noten steht in einem eklatanten Missverhältnis zu ihrer Aussagekraft. Aber gute Noten erfreuen alle, die sie bekommen – egal wie sie zustande gekommen sind. Und da die allermeisten Heime und ambulanten Dienste sehr gute Noten bekommen haben sie auch nichts (mehr) gegen die Noten – manche wären wahrscheinlich sogar betrübt oder enttäuscht, wenn sie auf die Präsentation ihrer Noten im Internet und im Eingangsbereich des Heimes verzichten müssten.
Sie können bis auf weiteres stolz die Noten aushängen. Das BSG stoppte in seinem Urteil vom 16.5.2013 die Notengebung nicht. Dabei hätte es gute Gründe dafür gehabt: fachlich teilt das BSG die Kritik an den Noten. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Noten sind beachtlich: staatlich verkündete Werturteile über die Qualität der Pflege ohne wissenschaftlich belastbare Basis, das stellt einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff dar. Auch fehlt es an einem gesetzlich geregelten Verfahren, das einen wirksamen Rechtschutz gegen die Notengebung garantiert. Das reichte dem BSG nicht – anders ausgedrückt: das BSG wollte sich nicht zum Richter über die Qualität der Aushandlungsergebnisse der gemeinsamen Selbstverwaltung aufschwingen. Und dies aus zwei Gründen. Ein Grund ist rein prozessrechtlicher Natur. Das Sozialgerichtsverfahren sieht keine Normenkontrollklage gegen Rechtsetzungen der Selbstverwaltung vor. Letztlich ging es in dem Verfahren um ein Urteil über die PTV, nicht um die Note eines Heimes.
Das BSG hat auch in anderen Rechtsgebieten eine Normenkontrollklage, etwa gegen Richtlinien, nicht zugelassen. Im Wege der Rechtsfortbildung eine solche zu konstruieren, wie noch vom Landessozialgericht in Essen empfohlen, diesen Weg will das BSG offenbar nicht mit gehen. Der Gesetzgeber ist gefragt, eine solche zu regeln. Das sollte er nach der Entscheidung des BSG dringend tun! Der andere Grund liegt (wahrscheinlich) auf politischer Ebene: das BSG wollte sich nicht in ein fachpolitisch strittiges Thema einmischen. Das soll die Gemeinsame Selbstverwaltung selbst hinbekommen. Das BSG gestand den Pflegekassen und Verbänden der Einrichtungsträger einen langen Lernprozess zu. Die dürfen auch Fehler machen: "trial and error", dieses Prinzip gilt auch für die PTV. Für wirklich relevant hält das BSG die Noten offenbar nicht. Ein entsprechendes Urteil in einem anderen Politikbereich, etwa im Gesundheitswesen wäre undenkbar gewesen. Staatliche Noten für Krankenhäuser oder Ärzte nach dem Prinzip "trial and error"? Schade, das BSG hat eine Chance vertan. Ein anderes Urteil wäre ihm möglich gewesen und auf die pflegepolitische Agenda für die nächste Legislaturperiode wäre das Thema PTV gesetzt worden. Jetzt geht das unwürdige Geschachere um die Pflegenoten weiter, immerhin haben die betroffenen Verbände mehr mit zu reden.
Was heißt das für die Pflegeheime? Die Pflegenoten dürfen weiter veröffentlicht werden. Sie dürfen auch weiter mit ihnen werben. Ungerechtfertigte Noten – und das sind angesichts der methodischen Mängel des Verfahrens fast alle – können vor den Sozialgerichten angegriffen werden, jeweils im Einzelfall. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht allerdings nur bei schlechten Noten.
Wie geht es weiter mit den Pflegenoten? Eine neue PTV ist vor der Schiedsstelle und wird dort verhandelt – die Verhandlungen waren mit Blick auf das Verfahren vor dem BSG ausgesetzt worden. Es ist sicher zu erwarten, dass gegen eine Einigung vor der Schiedsstelle von einigen Verbänden der Einrichtungsträger geklagt werden wird. Es ist auch keine fachlich tragfähige und belastbare Einigung in Sicht. Das Trauerspiel mit den Noten geht damit in die nächste Runde. Die meisten Verbände und Träger finden das sogar ganz in Ordnung: Sie haben gelernt, mit den Noten umzugehen, wissen wie man guten Noten erhält. Manche Kassen begrüßen ihre neue Bedeutung: wurden die Qualitätsprüfungen vor den Noten nicht so ernst genommen, führt die Notengebung heute zu großer Aufregung in den Heimen: wer will schon ein schlechter Schüler sein? Manche Verbände denken wohl darüber nach, die PTV Verhandlungen zu verlassen. Das könnte zu einer neuen fachpolitischen Diskussion führen, die dringend geboten ist. Da hat das BSG auch recht: es ist eine fachpolitische Frage, die auch auf fachpolitischer Ebene entschieden werden muss. Wie handlungsfähig diese ist, das zeigt die Diskussion um den Pflegebedürftigkeitsbegriff. Bei diesem fachpolitischen Stillstand wäre ein anderes BSG Urteil sehr hilfreich gewesen.
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