Blog

§ 38 a SGB XI: Recht nach Kassenmeinung? Entscheidungen nach Gutsherrenart? Nein Danke!

Nichts ist so einfach wie Lesen: Zu den Versuchen diverser Pflegekassen, Ansprüche auf den Wohngruppenzuschlag abzulehnen, sei daher “gebloggt”!

Dr. Lutz H. Michel
- Lutz Michel, Rechtsanwalt

Es ist schon verrückt:  Da wollen der SGB XI – Bundesgesetzgeber und viele Landesheimgesetzgeber ambulant betreute Wohngemeinschaften zur Regelversorgung machen nach dem Grundsatz ambulant vor stationär. Da ändert der Bundesgesetzgeber die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen nach § 38 a SGB XI und diverse Pflegekassen  tun alles, um die – berechtigten – Ansprüche ihrer Versicherten mit haarsträubenden Strategien abzuwehren: Fragebogen mit rechtswidrige Fragen, weit hergeholte Argumente, Argumentation mit einem Uralt – Wortlaut des § 38 a SGB XI etc., um nur einige zu nennen.

Im Wesentlichen handelt es sich um vier Argumentationstränge,  die gebetsmühlenartig wiederholt werden, ohne dass sie deswegen "richtig" oder "richtiger" werden:

Argumentation 1.:  Insbesondere bei so genannten anbieterverantworteten Wohngemeinschaften, bei denen Vermietung und Betreuung aus einer Hand erfolgt, wird argumentiert, dass infolge nicht gegebener freier Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen der Anspruchs ausgeschlossen  ist. Hier wird eine Uralt – Formulierung des § 38 a SGB XI und damit eine Uralt – Rechtslage, die durch das Pflegestärkungsgesetz 1 seit fast einem Jahr beseitigt worden ist, zur Abwehr berechtigter Ansprüche angezogen. Also: Ablehnung rechtswidrig!

Argumentation 2.: Dann gibt es das beliebte Argument, dass – auch wieder häufig bei anbieterverantworteten Wohngemeinschaften gebracht – die Verbindung von Wohnen und Betreuung und Pflege "weitestgehend dem Angebot einer vollstationären Einrichtung" entspräche. Hier wird verkannt, dass selbst bei gegebener Koppelung dieser Leistungen jedenfalls die vorgehaltenen Betreuungsleistungen nicht eine Gesamtversorgung des Nutzers eines solchen Angebots umfassen und bilden, weil wesentliche "Funktionen" eben nicht vom Leistungsbild umfasst sind. Dies beginnt bei der Organisation der Speisenversorgung, die generell ausgegliedert ist und vor allen Dingen auch aus einem gesonderten Finanzierungstopf der Wohngemeinschaften selbst, nämlich dem eigenverantwortlich geführten Haushaltsgeld(konto) finanziert wird, und endet bei der  regelmäßig erfolgenden Einrichtung der Wohngemeinschaft und ihrer Gemeinschaftsflächen durch die Nutzer selbst. Also: Ablehnung rechtswidrig!

Argumentation 3.:  Ebenso beliebt ist das Argument, dass die von den Mitteln nach § 38 a SGB XI zu vergütenden Leistungen nicht von einer / einem von der anspruchsberechtigten Personen besonders beauftragten individualisierten MitarbeiterIn erbracht werden, sondern vom Pflegedienst. Mit keinem Wort ordnet § 38 a SGB XI an, dass die über den Wohngruppenzuschlag zu bezahlenden Leistungen von einer eigens besonders beauftragten natürlichen Person erbracht werden müssen, oder gar von einer Person, die von der Wohngemeinschaft besonders angestellt sein muss oder überhaupt individuell beauftragt sein muss. Person kann im Übrigen eine natürliche Person oder eine juristische Person sein. Die gesetzliche Regelung verhält sich dazu nicht: Beides ist also zunächst möglich. Entscheidend ist aber die Funktion und Aufgabe, die von einer Person gesondert von den Pflegeleistungen erfüllt werden muß, nämlich die Koorsdinatiopnsleistungen. Also:  Ablehnung rechtswidrig!

Argumentation 4.:  Dann findet sich noch das weitere Argument, dass eine Wohngemeinschaft keine eigene Häuslichkeit bildet und kein Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung vorliegt, wenn der private Wohnbereich ein eigenes (Dusch-)Bad aufweist. Nirgendwo ist in § 38 a SGB XI geregelt, dass Zimmer mit Bädern in einer sie umfassenden Wohnung mit weiteren Wohnflächen "eigene Häuslichkeiten" bilden. Der immobilienrechtliche Wohnungsbegriff an sich umfasst im Übrigen nicht das Merkmal Wohnzimmer plus (Dusch-)Bad, sondern eine im baurechtlichen Sinn abgeschlossene Wohnung und nichts anderes kann auch in diesem Kontext gelten: Wohnung erfordert einen oder mehrere Wohnräume plus Bad plus Küche plus Abstellraum hinter einer eigenen Haustür, was bei Einzelzimmern mir oder ohne (Dusch-)Bad in Wohngemeinschaften regelmäßig nicht gegeben ist. Also: Ablehnung rechtswidrig!

Merksatz: Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen und lassen Sie es nicht zu, dass Ihre Kunden ins Bockshorn gejagt werden!