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Seniorendomizil Riepenblick: Pürierte Kost ist passé
Statt pürierter Kost wird im Seniorendomizil Riepenblick in Hameln passierte Kost in Form angeboten. Die Bewohner erhalten nicht nur Smoothfood, sondern auch hochkalorische Zwischenmahlzeiten, damit ihre Vitalwerte stimmen. Möglich macht das ein multidisziplinäres Team, das engagiert und wertschätzend zusammenarbeitet.

Vor mehr als drei Jahren fällt im Seniorendomizil Riepenblick die konsequente Entscheidung, keine pürierte Kost mehr anzubieten. „Das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Die Bewohner sollen sowohl pflegerisch als auch von den Nährstoffen her adäquat versorgt werden – und vor allem Spaß am Essen haben“, sagt Manuel Jösting, der das Familienunternehmen in zweiter Generation mit seinem Bruder Sven führt. „Die erste Schwierigkeit bestand darin, eine geeignete Ökotrophologin zu finden, und die zweite, auch die Küche auf diesem Weg mitzunehmen“, so Jösting. Hier habe die Weiterbildung und Qualifizierung der Küchenleitung zur Heimköchin eine gute Grundlage geboten. Mit Veronika Schaper wird dann auch die passende Ökotrophologin gefunden. Nun kann die Vorarbeit zum ehrgeizigen Projekt beginnen. Jösting: „Wir haben uns erstmal sehr lange Gedanken darüber gemacht, wie wir das Angebot überhaupt gestalten wollen und wen wir als Akteur dazu am Tisch brauchen. Klar wird, dass die Pflege, der Betreuungsdienst, die Küche und die Hauswirtschaft dabei sein müssen.“ Rückblickend betrachtet seien sie da relativ blauäugig rangegangen. „Aber wenn man jetzt sieht, was daraus für Fortbildungen entstanden sind, welche Angebote und Module entwickelt wurden und wie weit wir den Kreis im Endeffekt gefasst haben, das ist schon enorm“, sagt Jösting stolz.
Eigentlich sei es ja ausschließlich Aufgabe der Pflege, den Expertenstandard Ernährung umzusetzen. Aber das sei aus Jöstings Sicht gar nicht leistbar. Denn es gehe um viel mehr, als nur darum, ein Essprotokoll zu schreiben. Die Anforderungen seien vielschichtiger und letztendlich stecke ja auch eine Handlungsverpflichtung dahinter. Manuel Jösting weiß: „Man braucht begeisterte Pflegekräfte, eine gute Küche und im besten Fall eine Ökotrophologin.“
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Verständnis für gute Ernährung wecken
Mittlerweile schult Veronika Schaper auch viele externe Schüler, um das Verständnis für gute und nährstoffreiche Ernährung zu wecken und zu zeigen, was in punkto Schaumkost und anderen Kostform-Anpassungen alles möglich ist. Wenn die Auszubildenden in der Schule vom Konzept im Haus Riepenblick erzählen, horchen die Mitschüler auf und wundern sich, was machbar ist. Viele werden neugierig und besuchen die Einrichtung, um sich selbst ein Bild zu machen.
„Alle Ideen zur nährstoffreichen Ernährung haben wir zuerst in der Küche produziert“, erzählt Veronika Schaper. „Danach haben wir die Speisen in die Pflege gegeben und gemerkt, wie festgefahren sie mit dem ist, was sie schon immer kannte – auch wenn es nicht unbedingt besser ist. So kamen wir auf die Idee, eine Fortbildung für die Pflege in der Küche anzubieten. Das hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen. Bei jeder Fortbildung, die wir entwickeln, machen wir uns erstmal Gedanken darüber, was die Pflege an Verständnis braucht.“
Es sei besser, sich neue Rezepte und Konzepte Stück für Stück zu erarbeiten, man könne nicht alles auf einmal ändern, so Schaper. Unglaublich wichtig seien dafür die Fallbesprechungen von schwierigen Ernährungssituationen bei Bewohnern.
Schaper: „Anfangs haben wir Fallbesprechungen durchgeführt, in denen wir schwierige Versorgungssituationen gezielt betrachtet haben, um zu sehen, wie wir den Ernährungszustand verbessern können. Auf diese Weise ist es uns beispielsweise gelungen, dass eine Bewohnerin mit der Darmerkrankung Morbus Crohn jetzt weitgehend beschwerdefrei ist. Sie hatte einen Body-Mass-Index (BMI) von 14, 4 – eine Katastrophe. Aus Sicht der Ärzte sprachen viele Faktoren dafür, dass die Patientin bereits austherapiert sei. Wir konnten allerdings zeigen, dass es mit veränderter Kostform sehr wohl funktioniert, den Gesundheitszustand zu verbessern. Das war auch in der Pflege unser Türöffner.“
Aus der anfänglichen Abwehrhaltung sei Begeisterung geworden. Zum Beispiel bietet das Haus sogenannte Energiebällchen an. Das sind kleine hochkalorische Kugeln aus dunklem Kakao mit Hafer- oder Kokosflocken und Öl, die auf der Zunge zergehen.
Auf die Idee sei eine Pflegekraft gekommen, die sich heute noch bei der Produktentwicklung engagiert.
Heute weiß die Pflege, was sie serviert
Jede Pflegekraft müsse wissen, was für Speisen sie den Bewohnern präsentiert und anreicht. Wenn man sie da nicht mit auf den Weg nehme, wird jedes Produkt scheitern und sei es noch so gut, stellt Manuel Jösting fest. „Also nehmen wir alle Pflege-Mitarbeiter in kleinen Gruppen mit in die Küche und zeigen ihnen, wie die Speisen produziert werden und welche Zielsetzung damit verfolgt wird. Sie probieren die neuen Kostformen und so wächst auch die Akzeptanz.“
„Ich habe hier ein großes Verständnis im Team“, sagt Veronika Schaper. Es gehe oft um viel mehr als nur um Ernährungswissen, das sei nur die Grundlage. Und bei allem Erfolg gebe es immer noch Luft nach oben.
Die vier Köche sind mittlerweile stolz darauf, was sie produzieren. Auch die sieben Hilfskräfte, die regelmäßig geschult werden, freuen sich, Teil des ausgefeilten Ernährungskonzeptes zu sein.
Küchenplanung braucht optimierte Abläufe
Als durch den erhöhten Bedarf an Smoothfood und Sonder-Kostformen immer mehr Zeit für diese Aufgaben in der Küche aufgewendet werden, wird es notwendig, Entlastung zu schaffen und die Strukturen und Abläufe zu überdenken.
„Zuerst wollten wir die Küche vergrößern“, erinnert sich Jösting. „Doch dann hat sich herausgestellt: Wir brauchen nicht mehr Raum, sondern optimierte Abläufe und die richtigen Gerätschaften.“ Vorher wurde beispielsweise Trinknahrung eben mal so zwischendurch gemacht – eben dann, wenn sie von der Pflege gebraucht wurde. Das stellte eine Herausforderung dar und hat unter den Mitarbeitern Stress verursacht. Nun gibt es ein festes Zeitfenster für die Produktion, die jeder Küchenmitarbeiter mal übernimmt und dabei auch schon vorproduziert. Im Smoothfood-Dienst von 13 bis 16 Uhr ist der jeweilige Mitarbeiter ausschließlich dafür zuständig und fertigt Müslis oder Energiekugeln. Das rollierende Prinzip funktioniert nach einem von der Küchenleitung entwickelten Dienstplan.
„Als nächstes haben wir den sogenannten Geschirrtourismus abgeschafft“, erläutert die Hauswirtschaftsleiterin Rosi Thielmann. Es sei ein enormer Zeitfresser, wenn die Küche die Geschirrwagen auf die Wohnbereiche bringt, die Pflege das Geschirr auf die Tische stellt, dann wieder auf die Wagen räumt, die die Küche wieder abholt und das Geschirr in der Zentralküche in den Geschirrspüler räumt und wieder in die Schränke.
Jetzt hat jeder Wohnbereich seinen eigenen Geschirrspüler und spült direkt vor Ort. Der Geschirrtourismus entfällt damit: Eine enorme Entlastung. Jetzt kommt das Geschirr vom Tisch in die Spüle und wieder auf den Tisch. Und bleibt da, wo es hingehört: im Wohnbereich. Die Ausnahme bildet speziell verschmutztes Geschirr, das immer noch in der Zentralküche gespült wird.
Darüber hinaus werden die frischen Brötchen jetzt vom Bäcker geliefert. Brötchen zum Aufbacken gibt es nicht mehr – auch das spare Zeit. Küchenleiterin Janine Riesmeier: „Durch diese Maßnahmen ist die Arbeitszufriedenheit gestiegen. Außerdem ist die Küche bei allen Dingen mit im Thema. Die Mitarbeiter haben nicht mehr das Gefühl, Kellerkinder zu sein und keinen großen Anteil daran zu haben, was da oben passiert oder nur das Essen zu liefern. Das war uns sehr wichtig, ihnen das Feedback zu geben: Ihr seid ein wichtiger Bestandteil eines multiprofessionellen Teams und macht mindestens 30 Prozent der Versorgungsarbeit.“ Das trage zur Wertschätzung bei, und bringe viel mehr Kontakt und Spaß an der Sache.
Expertenstandard bildet die Grundlage
„Grundlage für alles, was wir machen, ist der Expertenstandard Ernährung“, betont Veronika Schaper. Im Seniorendomizil Riepenblick sollen die Bewohner nicht zum gesunden Essen erzogen werden, sondern das Haus hält ein gesundes Angebot vor, das sie annehmen können oder nicht. Es wird aber immer wieder geschaut: Was braucht dieser Mensch tatsächlich?
Zum Beispiel in der Blitzlicht-Besprechung, die alle 14 Tage stattfindet. Hierbei kommt die Pflege zusammen und teilt Beobachtungen oder auffällige Veränderungen der Vitalwerte bei Bewohnern mit, diskutiert Maßnahmen und gibt diese an die Küche weiter. Verbesserungen der Ernährungssituation sind übrigens immer erwünscht. Also gilt auch, dass es einen Weg zurück von der passierten Kost zur normalen Verpflegung geben muss. Darum ist regelmäßig zu überprüfen: Ist es noch aktuell, was wir anbieten? Es muss auch möglich sein, den Weg wieder zurückzugehen.
Was wird dem Bewohner gerecht?
Das Screening-Verfahren bei Neueinzügen sieht vor, zunächst den Body-Mass-Index (BMI) zu berechnen und sieben Tage lang ein Ernährungs- und Trinkprotokoll zu führen. Bei den Hauptmahlzeiten wird darauf geachtet, was die Bewohner essen und ob sie überhaupt gerne mittagessen. Wenn nicht, gilt es zu überlegen, welche Zwischenmahlzeiten sich eignen. Im Mittelpunkt steht dabei immer: Wie ist der Bedarf und was wird dem Bewohner gerecht? Um dann möglichst die Nährstoffe zuzuführen, die der Person besonders fehlen. Alle Werte werden in einer Software festgehalten, die auch den Sollenergiebedarf errechnet.
Die Qualitätsbeauftragte Elke Vorwohld-Arndt sagt: „Der BMI stellt generell erstmal eine gute Orientierung dar, aber mehr auch nicht. Er ist nicht wirklich aussagekräftig. Zum anderen heißt Mangelernährung nicht gleich Unterernährung. Mangelernährung muss man auch erstmal erkennen – also genau beobachten – und dann behandeln. Es gilt zu klären, was der Bewohner isst und ob es ausreicht. Dann ist zu entscheiden, ob noch Energiedrinks oder andere hochkalorische Zwischenmahlzeiten notwendig sind. Ganz individuell. Das erfordert eine gute Vernetzung zwischen allen Beteiligten.“
Manchmal sei aber gar nicht das Speisenangebot für Appetitlosigkeit der Grund, sondern die Umgebung. So gelte es also immer wieder zu schauen, was dieser Mensch tatsächlich brauche.
Wie das Beispiel eines Bewohners zeigt, bei dem die Gründe nicht klar waren, warum er nicht gut isst. Bis man in der Fallbesprechung herausfand, dass er es von zuhause gewohnt war, an einem großen Tisch zu essen. Das habe das Team dann möglich gemacht und an seiner Tafel hat er wieder mehr gegessen.
Qualitätszirkel Tischkultur
Selbstverständlich werden im Haus auch regelmäßig Qualitätszirkel zu verschiedenen Themen durchgeführt. Wichtig sei zu klären, wer wirklich daran beteiligt sein muss. Beim jüngsten Zirkel geht es um das Thema Tischkultur: Zurzeit werden Hilfsmittel von Bewohnern in Begleitung von Ergotherapeuten getestet und dokumentiert: Welches Geschirr ist für wen und welches gerontologische Krankheitsbild geeignet. Die Ergebnisse werden im Qualitätsmangement festgehalten.
Wie wichtig Hilfsmittel sind, zeigt das Beispiel: Mit dem richtigen Trinkbecher hat eine Bewohnerin wieder mehr Selbstständigkeit und somit Selbstwertgefühl erlangt. Das mache Bewohner ausgeglichener, so die Beobachtung der Ergotherapeuten.
Die Rolle der Küche in Theorie und Praxis
Für die Pflege- und Küchenmitarbeiter bieten die Gerontofachkraft Stefanie Broßmann und Veronika Schaper regelmäßig interne Fortbildungen an. Sie betonen die Wertstellung der einzelnen Bereiche und informieren die Küchenmitarbeiter über altersbedingte Veränderungen und die Folgen für den Ernährungszustand.
Das beginnt mit der Theorie, in dem der Ernährungskreis erläutert wird: Also gesunde Fette, Ballaststoffe wie Getreide und Obst, Getränke und Flüssigkeit, Fleisch und Eiweiß und wofür die Komponenten gut sind – zum Beispiel, dass Eiweiß für die Haut und Wundheilung wichtig ist.
Hier wird auch erwähnt, welchen Stellenwert die Hautgesundheit im Haus Riepenblick hat. So sind aufgrund der Ernährung die schadhaften Hautzustände deutlich rückläufig. Zudem wird erklärt, dass Essen zur Qual wird, wenn Kau- und Schluckbeschwerden vorliegen. Die Folge ist, dass sich Ältere einseitig ernähren, sofern sich niemand professionell um ihre Ernährung kümmert: Sie vermeiden Fleisch und Brot und greifen stattdessen zu mehr Milchprodukten wie Hafer- und Grießbrei. Dies entspricht leider viel zu oft einer alterstypischen Ernährung. In der Regel können daraus aber Gewichtsverlust, Muskelabbau, Stürze und Gebrechlichkeit, Verlust von Selbstständigkeit und steigende Pflegebedürftigkeit resultieren.
Und hier kommt nun die Rolle der Küche ins Spiel, die die Kost in Form von Smoothfood oder Fingerfood an Kau- und Schluckstörungen anpassen kann. Wie das im Seniorendomizil Riepenblick gelingt, zeigen folgende Vorher-Nachher-Beispiele:
- Frühstück: Wenn im Haus früher Marmeladenbrot mit Kakao oder Leberwurstbrot in Tee zerdrückt wurde, gibt es heute ein cremiges Frühstück und Abendbrot, das aus Rapsöl, Milchprodukten, Flohsamenschalen, Getreide, Obst und Gemüse besteht und rund 450 Kalorien hat.
- Zwischenmahlzeit: Wenn früher kalorienreiche Getränke mit viel Zucker, Eiweißpulver oder Maltodextrin gereicht wurden, gibt es heute angereicherte Smoothies, Müslis und Energiebällchen.
- Mittagessen: Wenn das Essen früher püriert wurde, so wird heute SmoothFood angeboten.
- Nachmittags: Für Bewohner mit Kau- und Schluckbeschwerden gibt es Kuchen im Glas.
Und so gelingt es, den Ernährungskreis wieder zu schließen. Ein weiterer wichtiger Faktor dabei: Die Kostformen vermeiden eine Ausgrenzung der Bewohner, denn auch die in Form gebrachte Bratwurst sieht aus wie eine normale Bratwurst.
Manuel Jösting: „Mittlerweile arbeiten wir seit drei Jahren daran, diese Produkte nach vorne zu bringen – und das mit der Stabilität, dass wir es auch als Essen auf Rädern präsentieren können. Das heißt für den Landkreis, dass Menschen mit Schluckstörungen auch zu Hause adäquat ernährt werden können. Ich bin sicher, dass der Bedarf
in den kommenden Jahren steigen wird.“
Das Team würde weiterhin an neuen Produkten arbeiten, damit die Nährstoffdichte gegeben sei. „Zugegeben: Das ist schon eine Königsdisziplin“, schließt Jösting.
Infos: www.riepenblick.de
> Autorin: Ina Füllkrug, Redaktion ProHauswirtschaft
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