Themenspecial: Wie Schnittstellen zu Nahtstellen werden
Prof. Dr. Ulrike Pfannes und Rowena Alber
Die Verpflegungsversorgung in stationären Einrichtungen ist eine gemeinsame Aufgabe mit getrennten Zuständigkeiten zwischen Pflege und Hauswirtschaft/Küche. Anliegen aller Professionen ist es, die Bewohner für eine zufriedenstellende Lebensqualität entsprechend der Bedürfnisse und Bedarfe zu versorgen und zu betreuen. Verschiedene Perspektiven und Herausforderungen in der Pflege und Hauswirtschaft/Küche ergeben sich aus dem Organisationsaufbau, den unterschiedlichen Berufsbildern, Aufgaben und Traditionen.
In der Praxis kommt es auf eine gute Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren rund um die Mahlzeiten an, damit die gewünschte Ergebnisqualität erreicht wird (s. obige Abb.). Der nachfolgende Beitrag erläutert Gelingensfaktoren für eine bewohnerorientierte Verpflegung, die im Rahmen des 13. DGE- Ernährungsberichtes mittels qualitativer Interviews in Senioreneinrichtungen ermittelt wurden (Pfannes et al. 2018). Es handelt sich also um Erkenntnisse, die direkt aus Best-Practice-Beispielen in Altenhilfeeinrichtungen gewonnen wurden. Die nachfolgende Grafik zeigt zur Einordnung die Rollen der verschiedenen Akteure rund um die Mahlzeiten.
Die begrenzten finanziellen und personellen Rahmenbedingungen für die Ernährung und Verpflegung sind im Alltag eine Herausforderung für die Küche/Hauswirtschaft und die Pflege. Das Ziel einer hohen Bewohnerzufriedenheit liegt allen Beteiligten am Herzen, aber bei Schwachstellen im Schnittstellenmanagement zeigen sich ungünstige Auswirkungen. Die Bewohner nehmen den Personalmangel wahr, z. B. verbunden mit Verschiebungen von Essenszeiten und einer begrenzten Lebensmittelauswahl bei Einsparungen im Verpflegungsbudget.
Wie kann es gelingen, trotz der genannten Herausforderungen, die gewünschte Prozess- und Ergebnisqualität über die Schnittstellen hinweg zu gewährleisten?
Grundsätzlich ist das Thema Schnittstellen nicht neu: Publikationen hierzu gibt es seit Mitte der neunziger Jahre (z. B. Mybes 1994); in vielen Senioreneinrichtungen gibt es seit Jahren Schnittstellenkataloge, die die Aufgaben und Zuständigkeiten für die ausführenden Beschäftigten in Pflege und Hauswirtschaft/Küche regeln. Dies ist grundsätzlich ein guter Ansatz, um Klarheit zu schaffen, allerdings ist das alleine nicht ausreichend. Aus Schnittstellen müssen Nahtstellen werden, denn ein Prozess wie die Verpflegungsleistung ist erfolgreich nur über alle Prozessschritte hinweg zu gestalten: Jede (reale) Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied, das gilt auch für die Prozesskette „Verpflegung“. Es ist also nicht ausreichend, einzelne Kettenglieder in Hauswirtschaft/Küche oder Pflege isoliert zu optimieren, sondern – wie im Qualitätsmanagement gefordert – die gesamte Prozesskette in den Blick zu nehmen, zu gestalten und dies als kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu gestalten. Folgende praxiserprobte abteilungsübergreifende Gelingensfaktoren tragen zu einer guten Verpflegungsqualität bei.
Die Erfolgsfaktoren im Detail
- Die gegenseitige Wertschätzung und das Verständnis für die Aufgaben der Nahtstellenpartner sowie die Zusammenarbeit auf Augenhöhe sind bedeutend für eine wertschätzende Kultur der Zusammenarbeit und hat positive Auswirkungen auf den gesamten Prozess. Hierbei ist die Vorbild- und Steuerungsfunktion der Führungskräfte (Heimleitung, PDL, Küchenleitung, Hauswirtschaftsleitung) erforderlich.
- Eine kontinuierliche Kommunikation – auf Augenhöhe – zwischen den Bereichen ist essenzieller Bestandteil einer guten Zusammenarbeit. Mündliche Informationswege (z. B. Telefonate), die schriftliche Dokumentation (z. B. Handbücher, Konzepte und Formulare) und regelmäßige Leitungsrunden mit allen Bereichen strukturieren die Kommunikation und schaffen Vertrauen.
- Eine Ernährungsfachkraft (Ökotrophologin, Diätassistentin und diätetisch geschulte Köche/Fachkräfte) intern oder als Honorarkraft zu beschäftigen, ist ein wichtiger Gelingensfaktor für eine bewohnerorientierte Verpflegung: Es ist ein Ausdruck von Expertise, etwa im Ernährungsteam, und fachlicher Wertschätzung der Ernährung.
- Ein multidisziplinäres Ernährungsteam aus verschiedenen Berufsgruppen wird sowohl im DNQP-Expertenstandard als auch im DGE-Qualitätsstandard empfohlen, hat sich aber bisher noch nicht in allen Einrichtungen durchgesetzt. Gerade hier wird ein strukturierter kontinuierlicher Austausch auf Augenhöhe ermöglicht. Es können dabei auch Themen besprochen werden, die sich auf einzelne Bewohner beziehen. Das „Ernährungsteam“ kann auch mit anderen Begrifflichkeiten benannt sein, z. B.: Schnittstellengespräch, Qualitätszirkel Ernährung oder Ernährungsrunde.
- Fort- und Weiterbildung ermöglicht einen durchgängigen Zugang zu senioren- und ernährungsspezifischem Wissen und Fertigkeiten – z. B. Kau- und Schluckbeschwerden, Ernährung und Demenz, Mangelernährung. Idealerweise wird eine gleichzeitige Teilnahme von Beschäftigten aus unterschiedlichen Bereichen (Pflege & Hauswirtschaft/Küche) vorgesehen, auch Hilfskräfte sollten einbezogen werden: Dies ermöglicht, gemeinsam Ideen und Lösungen zu entwickeln.
- Gemeinsame Nutzung der Pflege-Dokumentation: Diese bewohnerbezogene Informationsquelle kann für alle Arbeitsbereiche bei der Verpflegungsversorgung genutzt werden, da hier u. a. die Essbiografie, der Ernährungszustand, die Wünsche der Bewohner und deren individuelles Ess- und Trinkverhalten dokumentiert sind. Gleichzeitig können alle Bereiche dort ihre Informationen einbringen. Bei zunehmender Digitalisierung wird dies immer einfacher möglich sein.
Regelmäßige Sitzungen mit den Bewohnern und Speiseplanbesprechungen schaffen einen Austausch, die Verbesserung der Verpflegung und eine höhere Zufriedenheit.
Die Gelingensfaktoren bedingen sich gegenseitig und führen bei Umsetzung auch zu einem kulturellen Wandel in der Einrichtung: das trifft insbesondere z. B. für die Faktoren gegenseitige Wertschätzung und gemeinsame Nutzung der Pflegedokumentation zu.
Umsetzung in die Praxis
Jede Veränderung sollte mit einer Ist-Analyse in der Einrichtung starten (Bestandsaufnahme):
- Wo stehen wir?
- Wo sind unsere Stärken?
- Wo sind unsere Schwächen?
Die Gelingensfaktoren können dabei als Analyseraster dienen, um eine strukturierte Vorgehensweise zu ermöglichen und schrittweise vorzugehen. Dies kann etwa im Rahmen eines abteilungsübergreifenden Qualitätszirkels geschehen. Auf dieser Basis kann dann nach dem Motto „Stärken stärken, Schwächen schwächen“ ein Maßnahmenplan für die Verpflegung in der Einrichtung entwickelt und umgesetzt werden. Die Überprüfung der Ziele nach einer festgelegten Zeit muss selbstverständlicher Bestandteil sein, um Erfolg sichtbar zu machen bzw. ggf. Korrekturmaßnahmen einzuleiten.
Mehr miteinander statt nebeneinander
Möglicherweise erscheint dieses Vorgehen insgesamt zeitraubend und ruft Vorbehalte hervor, da die Ressourcen in Einrichtungen immer knapp sind. Aber: Gerade in Zeiten mit personellen Herausforderungen kommt es auf eine gute Teamarbeit an, mehr miteinander statt nebeneinander zu arbeiten. Die Beschäftigung mit den Gelingensfakoren kann als Investition in die Zukunft gesehen werden.
Die erfolgreiche Umsetzung kann die Zufriedenheit der Bewohner erhöhen. Als Nebeneffekt wird der manchmal tägliche „Kleinkrieg“ auf der Prozessebene minimiert und kann in Zukunft Ressourcen schonen (z. B. Zufriedenheit der Beschäftigten und weniger Fluktuation).
Schlussfolgerung: Viele Potenziale für Verbesserungen können gehoben werden, wenn die Nahtstellen zwischen den Professionen in den Blick genommen werden. Dabei geht es einerseits um weiche, eher kommunikative Faktoren wie Wertschätzung, Verständnis, Kommunikation, Teambildung, aber auch um harte Faktoren wie Ernährungsfachkräfte beschäftigen, multidisziplinäre Ernährungsteams und Weiterbildungen.
Zum Weiterlesen:
U. Pfannes, R. Alber, U. Arens-Azevêdo, D. Volkert, C. Burger, E. Kiesswetter: Die Verpflegungssituation in stationären Senioreneinrichtungen – Ergebnisse qualitativer Interviews in Einrichtungen mit und ohne DGE-Zertifizierung, in: Ernährungsumschau 6/2018.
Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft (Hg.): Mahlzeiten wertschätzend gestalten: Blicke über den Tellerrand verändern die Gemeinschaftsverpflegung, Freiburg 2018
> Autorinnen: Prof. Dr. Ulrike Pfannes, Department Ökotrophologie, Professur Verpflegungs- und Versorgungsmanagement, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Kontakt: ulrike.pfannes@haw-hamburg.de und Rowena Alber, Diplom-Ökotrophologin, QM-Beauftragte in der Gemeinschaftsverpflegung, Lehrbeauftragte HAW Hamburg. Kontakt: info@beratung-rowena-alber.de