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Pflegekammer will anonyme Meldestelle einrichten
Misshandlungsvorwürfe in einem Pflegeheim in Celle schlagen hohe Wellen: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen drei Pflegekräfte, die Pflegekammer Niedersachsen fordert Veränderungen für die Branche.

"Niemand, der Missstände in der Pflege meldet, sollte Angst vor negativen Folgen haben müssen", so die Präsidentin der niedersächsischen Pflegekammer Nadya Klarmann.
Die Ermittlungen seien auf den Verdacht der Freiheitsberaubung und der Körperverletzung ausgeweitet worden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Celle am 30. Juni. Das Verfahren richte sich gegen eine 26-Jährige sowie zwei 27 und 31 Jahre alte Männer. Den Vorwürfen zufolge sollen Mitarbeiter des Pflegepersonals in dem Heim in Celle Bewohner ans Bett gefesselt und in ihren Ausscheidungen liegengelassen haben. Auch seien die Wunden eines Beinamputierten nicht fachgemäß behandelt worden. Die Geschäftsführerin der Pflegeheime Muus GmbH, Claudia Muus, äußerte sich "entsetzt über die erkennbaren Missstände", über die sie am 11. Mai informiert worden sei. Sie sprach von einem "nicht akzeptablen Umgang von Pflegepersonal mit Heimbewohnern" in dem Haus mit derzeit 54 Bewohnern. Sie habe Strafanzeige gegen die drei Mitarbeiter gestellt und sie entlassen. In den fraglichen Fällen gehe es nicht um überlastetes Pflegepersonal: "Das war einfach böse." Die Mitarbeiter des Heims seien "zutiefst betroffen". Muus kündigte an, ein unabhängiger Pflegesachverständiger solle das Heim in Celle untersuchen, um mögliche weitere Missstände auszuschließen. Auch seien Kontrollen geplant – unregelmäßig und zu unterschiedlichen Zeiten. Und auch nachts.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien noch ganz am Anfang, die Vorwürfe würden geprüft, erklärte die Sprecherin. Zusätzlich zum Verdacht auf Freiheitsberaubung und Körperverletzung geht es auch um Fotos und Videos, die die drei Beschuldigten gemacht haben sollen.Die Aufnahmen verletzten den höchstpersönlichen Lebensbereich der Opfer, sagte sie. Die Beschuldigten sollen ihre Aufnahmen an Dritte weitergegeben haben. Laut Staatsanwaltschaft sieht das Gesetz dafür eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe vor.
"Der mutmaßliche Fall des Pflegeheims in Celle ist ein besonders dramatischer Fall, aber leider kein Einzelfall", sagte die Präsidentin der Pflegekammer, Nadya Klarmann. Auch in anderen Pflegeeinrichtungen oder der häuslichen Pflege könnten Missstände oder Misshandlungen auftreten: "Deshalb müssen wir jetzt dringend handeln. Pflegende Patienten und Angehörige, aber auch Ärzte, Rettungssanitäter, Hauswirtschaftskräfte – sie alle brauchen eine neutrale Meldestelle, an die sie sich wenden können." Sie forderte: "Die Kultur des Wegschauens muss ein Ende haben." Die Pflegekammer kündigte an, eine anonyme Melde- und Beratungsstelle einzurichten. "Niemand, der Missstände in der Pflege meldet, sollte Angst vor negativen Folgen haben müssen", sagte Klarmann. Trotz der Vorfälle in Celle dürften Pflegende als Berufsgruppe aber nicht unter Generalverdacht gestellt werden.
Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann reagierte schockiert auf die Vorwürfe. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Misshandlungsvorwürfen in Heimen seien selten, sagte die SPD-Politikerin. "Das sind furchtbare Vorwürfe." Wegen einzelner schwarzer Schafe dürften die rund 130 000 Beschäftigten in der Pflege keinem Generalverdacht ausgesetzt werden. Sie leisteten gute Arbeit.
Reimann sagte: "Freiheitsentziehende Maßnahmen müssen immer die absolute Ausnahme bleiben und bedürfen der richterlichen Anordnung." Das Ministerium wurde den Angaben zufolge am 18. Juni 2020 von der Pflegekammer über die anonyme Beschwerde informiert. Umgehend sei die Heimaufsicht in Celle informiert worden, bei einer Prüfung am gleichen Abend seien Bewohnerinnen und Bewohner allerdings nicht rechtswidrig fixiert worden. Auch Reimann kündigte an, Niedersachsen werde ein Whistleblowing-System in der Pflege einführen. Pflegekräfte sowie Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollten künftig Missstände oder Anhaltspunkte für Gefährdungen an eine Beschwerdestelle melden können – bei Bedarf auch anonym. Die Stelle solle im Sozialministerium angesiedelt werden.
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