Management
Pflege muss höheren Status erhalten
Wissenschaftler haben in einer Schrift zusammengetragen, welche Lehren sich aus Corona ziehen lassen. Sie fordern, dass Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden und einen höheren Status erhalten muss. Unter den Bedingungen der Pandemie haben Menschen, die in der Pflege arbeiten, vielfältige und oftmals sehr belastende Erfahrungen gemacht. Die Pandemielage habe die Schwachstellen des deutschen Pflegesystems und die bestehenden Probleme der Langzeitpflege deutlich hervorgehoben. Kritisch beleuchten die Autoren die übermäßige Verwaltung und Regulierungswut: Alten- und Pflegeheime seien wie kaum eine ander Organisation reguliert und normiert. Dies habe die Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit der Akteure vor Ort über die Jahre gedämpft, wenn nicht erstickt.

Es bestehe auch die Gefahr, dass die Pandemie, deren Ende nicht absehbar ist, zu einem weiteren gesellschaftlichen Partikularismus mit Auflösungserscheinungen führen werde. Anders als in fernöstlichen Gesellschaften fehle es in Deutschland an einem ausgeprägten Gemeinsinn.
Wie das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) mitteilt, habe manche Situation in der Corona-Krise ethische Fragen aufgeworfen, Grenzerfahrungen führten dazu, dass Beratungs- und Gesprächsangebote rege genutzt wurden. So seien grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte insbesondere alter Menschen in Einrichtungen infolge der Corona-Maßnahmen oft unverhältnismäßig eingeschränkt worden. Die Sorgen um die Folgen solcher Maßnahmen etwa waren Thema in Gesprächen – zum Beispiel bei der Hotline der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB). Diese Erfahrungen und Gedanken, die Mitarbeitende in Pflegeberufen zum Ausdruck gebracht haben, seien von den Wissenschaftlern Prof. Dr. Thomas Klie, Mitglied im Kuratorium Deutsche Altershilfe, Prof. Dr. Hartmut Remmers und Pflegeethiker Prof. Dr. Arne Manzeschke gebündelt und ausgewertet worden. Eine Analyse und Anstöße für Reformen wurden nun mit der Denkschrift „Corona und Pflege: lessons learned. Zur Lage der Pflege in einer gesundheitlichen und gesellschaftlichen Krisensituation“ vom Kuratorium Deutsche Altershilfe veröffentlicht. „Die Analysen werden nicht jedem gefallen. Aber sie sind grundlegend und praxisnah. Sie legen offen: Wir müssen Pflege grundsätzlich neu denken. Pflege geht jeden an, sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, fasst Helmut Kneppe, Vorsitzender des KDA zusammen.
Klie fordert als Konsequenz aus den Erfahrungen: „Aus der Krise lernen, heißt für die anstehenden Reformen im Gesundheitswesen und der Langzeitpflege, dass der Pflege ein neuer Status zugestanden werden muss, ein Status, der die Pflege mit der Medizin gleichsetzt. Das ist aber nicht umsonst zu haben und erfordert deutliche Korrekturen in der Ausrichtung des deutschen Gesundheitssystems.“ Solle Pflege den künftigen Herausforderungen gewachsen sein, so bedürfe es zum Beispiel gezielterer Qualifikationen in den Pflegeberufen, beschreibt Klie einen wichtigen Schluss aus den Erfahrungen. „Diese Qualifikation muss auch eine stärkere berufliche Eigenständigkeit und eine soziologisch differenzierte und kritische Selbstaufklärung beinhalten.“
Eine weitere Lehre, die unter Corona noch einmal deutlicher wurde, sind die Konsequenzen der Marktorientierung im Gesundheitswesen. Klie: „Die Kolonialisierung von Bereichen lebensermöglichender und lebenserhaltener Sorgearbeit darf nicht den Systemimperativen der Vermarktlichung, Monetarisierung sowie einer Ökonomie der Zeit unterworfen werden.“
Die Schrift möchte herausarbeiten, welche Traditionslinien dabei helfen, die strukturelle Schwäche der Pflege in Deutschland zu erklären. Gesundheit und Pflege müssten als Aufgabe der Daseinsvorsorge gesehen werden. Konsequenz aus den Erfahrungen müsse neben einer beruflichen Emanzipation und Eigenständigkeit der Pflegeberufe auch sein, „dass die Dignität der Menschenrechte als eine sowohl pflegerische als auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird“, betont Klie die Notwendigkeit eines grundsätzlich neuen Verankerns der Pflege im politischen und im allgemeinen Bewusstsein.
Zum Beitrag „Corona und Pflege: lessons learned. Zur Lage der Pflege in einer gesundheitlichen und gesellschaftlichen Krisensituation“ aus der Schriftenreihe des KDA „Pflegepolitik gesellschaftspolitisch radikal neu denken“
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