Bauprojekte
„Klassische Neubauvorhaben wird es künftig nicht mehr geben“
Steigende Preise und explodierende Kosten machen der Branche zu schaffen. Wie unter den schwierigen Rahmenbedingungen dennoch wirtschaftliche Bauvorhaben umgesetzt werden können, erläutert Experte Marco Kelle im Interview mit Altenheim.

Herr Kelle, die Branche steht gerade vor großen Herausforderungen, viele Betriebe geben auf, größere Player melden Insolvenz an. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe und wie wird es sich weiterentwickeln?
Gerade im vergangenen Jahr konnten wir das Zusammentreffen mehrerer herausfordernder Sachverhalte beobachten. Egal ob die Ursachen in der Corona-Pandemie oder im Ukrainekrieg zu suchen sind, die Baupreise steigen aufgrund von steigender Rohstoff- und Energiekosten, Ausfälle in den Lieferketten und steigender Löhne und Gehälter. Die Finanzierungsmöglichkeiten brachen aufgrund des unverhofften Stopps der KfW-Programme im Januar 2022 ein. Die Zinsen für Hausbankkredite stiegen von teilweise unter 1 Prozent auf derzeit etwa 5 Prozent. Die Energiekosten bereits bestehender Immobilien stiegen ebenfalls. Gleichzeitig blieben die Refinanzierungsmöglichkeiten bei Sozialimmobilien gleich. Diese Faktoren schufen eine Spirale aus steigenden Investitionskostensätzen bzw. Mieten, die durch die Verbraucher nicht mehr leistbar sind. Damit blieben Einnahmen bei den Betreibern aus, was sich in den Marktgeschehen widerspiegelt. Die derzeit bekannten Insolvenzen werden meiner Ansicht nach leider nicht die letzten Hiobsbotschaften sein.
EVENT: Wie sie Bauvorhaben wirtschaftlich realisieren, verrät Marco Kelle auf der Expo living & care am 20. und 21. Juni in Berlin.
Die Preise explodieren auf vielen Ebenen – wird die Entwicklung neuer Projekte dadurch gefährdet?
Das Baugeschehen und die Investitionsbereitschaft hat bereits heute einen deutlichen Einbruch erfahren. Branchenriesen wie Vonovia, die Düsseldorfer LEG oder die Dresdner Wohnungsbaugesellschaft „Wohnen in Dresden“ (WID) haben bereits sämtliche Neubauvorhaben eingestellt. Gleiches gilt für viele soziale Träger. Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass dieser Trend sich kurzfristig umkehrt. Klassische Neubauvorhaben wird es zukünftig nicht mehr geben. Es muss ein Umdenken in der Branche geben. Das Thema Nachhaltigkeit und hybride Bauweisen wird – vor allem durch die neuen KfW-Programme „klimafreundlicher Neubau“ – extrem in den Vordergrund rücken. Auch werden Sanierungen und Einzelmaßnahmen an bestehenden Gebäuden wieder stärker in den Fokus rücken.
Die ambulantisierten Wohnformen, also die Quartiershäuser, haben in den vergangenen Jahren einen großen Boom erlebt. An welchen Stellschrauben muss gedreht werden, dass dies auch unter den derzeitigen schwierigen Rahmenbedingungen gelingt?
Um unter den bekannten Vorzeichen dennoch wirtschaftliche Bauvorhaben zu realisieren, muss das Bewusstsein für die Stellschrauben zur Beeinflussbarkeit der Baukosten bei Planern und Bauherren wachsen. Bei bereits in der Ausführung befindliche Vorhaben existieren kaum noch Möglichkeiten der Kostenbeeinflussung. Die Möglichkeiten der Einflussnahme sind am Beginn eines Bauvorhabens – also in der Grundlagenermittlung bis zum Entwurf – am größten und sinkt über die weiteren Leistungsphasen dann bis auf Null ab. Anders gesagt, der Grundstein für ein wirtschaftliches Bauvorhaben wird am Projektanfang gelegt. Wesentliche Stellschrauben sind hier die Themen Flächeneffizienz und Gebäudegeometrie sowie die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Konstruktionen und Bauteile. Daher sind hier vor allem die Planer gefragt.
Interview: Steve Schrader
Veranstaltungstipp
Dr. Marco Kelle, Geschäftsführer PlanKonzept GmbH, Sandersdorf-Brehna, treffen Sie auf der Expo Living & Care am 20. und 21. Juni 2023 in Berlin. Sein Vortragstitel lautet: Update neue Wohnformen: Kosten und Weiterentwicklung von Quartiershäusern – neue Wohnformen vor dem Hintergrund explodierender Kosten bei Bau, Energie und wegfallender Förderung. Infos zum Programm finden Sie hier.
Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu verfassen.
Sie haben noch kein Konto?
Jetzt registrieren