Management
Der große Wurf bleibt aus
Die aktuelle Debatte im Bundestag zeigt: Die geplante Pflegereform von Karl Lauterbach trägt nicht dazu bei, die Situation für Betreiber substanziell zu verbessern. Was das für die derzeitigen und kommenden Vergütungsverhandlungen bedeutet, verrät Kai Tybussek im Interview mit Altenheim.

Herr Tybussek, die Branche klagt über massiv steigende Kosten bei fehlender Refinanzierung, das Insolvenzrisiko steigt. Viele haben auf Antworten aus der Politik gewartet. Nun liegt der Entwurf des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) vor, das noch diesen Sommer in Kraft treten soll. Liefert das Gesetz Lösungen für die Herausforderungen in der Branche? Reicht das aus?
Ich halte es zunächst für gut, dass die Bundesregierung erkannt hat, dass erneuter – und auch dringender – Reformbedarf in der gesetzlichen Pflegeversicherung 28 Jahre nach deren Einführung vorhanden ist. Dies war schon länger absehbar, spätestens mit der Tatsache, dass die Spahn’sche Pflegereform 2021 mit dem GVWG nur ein Reförmchen war. Der große Wurf, wie etwa die Umsetzung der Idee des so genannten „Sockel-Spitze-Tausches“ kam nicht. Das größte Problem sind aus meiner Sicht explodierende Kostensteigerungen. Nicht zuletzt durch die Einführung der Tariftreue schießt im Durchschnitt der pflegebedingte Aufwand, der sich im einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE) widerspiegelt, rasant in die Höhe. Da war die zeitbezogene Entlastung durch das GVWG nach Dauer der Pflegebedürftigkeit im Heim letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Jetzt werden durch den neuen Reformentwurf Kosten für Leistungsverbesserungen bzw. eine bessere Personalausstattung auf die Versicherten (vor allem die kinderlosen) abgewälzt. Einen strukturellen Aufbruch kann ich nicht erkennen, sodass die Halbwertzeit dieser Reform erneut recht kurz ausfallen dürfte.
Sehen Sie auch gute Ansätze im Gesetz?
Zu begrüßen ist wie gesagt zunächst einmal, dass überhaupt in diesen schwierigen Zeiten von Pandemie und Krieg etwas unternommen wird. Inhaltlich wichtig sind sicherlich die geplanten Leistungsverbesserungen bzw. Anhebungen bei den Pflegesachleistungen um fünf Prozent, den prozentualen Zuschüssen zu den Eigenanteilen nach § 43 c SGB XI um fünf bis zehn Prozent und bei dem Pflegegeld um fünf Prozent. Das soll allerdings erst zum 1. Januar 2024 greifen. Immerhin sollen ein weiteres Jahr später zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 dann Geld- und Sachleistungen regelhaft angepasst an die Preissteigerung dynamisiert werden.
EVENT: Tipps für die nächste Entgeltverhandlung verrät Rechtsanwalt Kai Tybussek auf der Expo living & care am 20. und 21. Juni in Berlin.
Wie lauten Ihre Erfahrungen aus den bisherigen Verhandlungen: Konnten die Kostensteigerungen durch Energie, Tarif, Inflation in den Budgetverhandlungen vereinbart werden? Oder gibt es hier noch viel Nachholbedarf?
Hinsichtlich der Energiekosten ist der Druck im Wesentlichen aus den Verhandlungen genommen durch den neuen § 154 SGB XI (Ergänzungshilfen), der ähnlich wie der damalige Corona-Schutzschirm gem. § 150 SGB funktioniert. Allerdings sind die verhandelbaren Lebensmittelkosten und Kosten für medizinisch-pflegerischen Bedarf oftmals Streitpunkte. Unverändert heftig gestritten wird in den Pflegesatzverhandlungen über Aspekte des Verwaltungsbedarfs. Bei den Personalkosten erleben wir derzeit immer weniger Konfliktpotential, die Umsetzung der Tariftreue erfolgt meist angemessen. Eine Ausnahme bildet hier die Refinanzierung des nicht pflegerischen Personals bei Einrichtungen, die sich entweder nur einem Tarif anlehnen oder Durchschnittsanwender sind. Hier kommt das Servicepersonal im Gegensatz zu den echten Tarifanwendern häufig zu schlecht weg.
Was raten Sie den Pflegeeinrichtungen mit Blick auf die nächste Pflegesatzverhandlung, um eine auskömmliche Vergütung zu verhandeln?
Pflegeeinrichtungen müssen ihre Personal- und Sachkosten monatlich controllen und ständig mit den verhandelten Werten abgleichen. Nach der Verhandlung ist vor der Verhandlung. Strategisch gilt es abzuwägen, ob die Einrichtung sich möglicherweise nicht doch besser einem Tarif unterwirft, um eine bessere Refinanzierung der Hauswirtschaftskräfte und des Verwaltungspersonals zu erreichen. Auch die Frage des Outsourcings von Küche, Reinigung und Wäsche ist neu zu bewerten angesichts der aktuellen Rechtslage und Verhandlungspraxis.
Interview: Steve Schrader
Veranstaltungstipp
Kai Tybussek, Rechtsanwalt und Geschäftsführender Partner bei der Curacon Rechtsanwaltsgesellschaft, treffen Sie auf der Expo Living & Care am 20. und 21. Juni 2023 in Berlin. Sein Vortragstitel lautet: Energie, Tarif, Personalbemessung – Neues Trio für auskömmliche Vergütungen: Wie bereite ich mich am besten auf Entgeltverhandlungen vor? Infos zum Programm finden Sie hier.
Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu verfassen.
Sie haben noch kein Konto?
Jetzt registrieren